Die Wissenschaftler und die Transzendenz – Wolf Schneider

von Thomas
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Mystik und Wissenschaft, Ost und West tun sich auch heute noch schwer miteinander – Er hätte ein guter Wissenschaftler werden können, vom Elternhaus und der Begabung her deutete alles darauf hin. Dann aber ging er nach Osten, wurde Mönch und kam als Sannyasin zurück. Ein persönlich-biografischer Blick auf die beiden Seiten, die sich so schwer tun, zusammenzukommen: die Weisheit des Ostens und die Wissenschaft des Westens.

Von Wolf Schneider

Als 16-jähriger durfte ich ab und zu am »Leib-Seele-Kolloquium« der Max-Planck-Institute Seewiesen teilnehmen, wo Naturwissenschaftler sich zu philosophischen Themen äußerten. Konrad Lorenz, ein Kollege meines Vaters, war einer von ihnen, auch Carl Friedrich von Weizsäcker war ab und an dabei. Es waren gute Naturwissenschaftler, aber ihre Aussagen über Leib und Seele überzeugten mich nicht. Da gab es zum Beispiel die ethischen Fragen (Was ist gut? Was sollen wir tun?), die in mir brannten. Dazu konnte keiner von diesen Forschern etwas mir Einleuchtendes sagen. Auch Lorenz’ »Das sogenannte Böse« erschien mir nur als Annäherung an einen Lösungsansatz, den aber keiner so richtig anpacken wollte. Und dann die Frage, wie überhaupt etwas etwas anderes darstellen könnte und in welchen Formen das geschehen könnte und welche davon sinnvoll sind und welche nicht, alles das blieb ungelöst, kaum dass einer überhaupt diese Fragen stellte, die ich als noch viel fundamentaler empfand als all die alten Fragen zum Verhältnis von Geist und Materie, die hier mit der zu den Naturwissenschaftlern passenden Ironie, als »Leib und Seele«-Probleme bezeichnet wurden.

Zwei Jahre später begann ich das Studium der Physik, gefolgt von »Wissenschaftstheorie und Logik«. Vier Jahre lang an der Uni München (LMU), die heute als deutsche Elite-Uni gilt. Das Studium präzisierte meine Fragen und schürte meine Hoffnung auf Antworten, oder wenigstens Methoden zu finden, mit denen ich hoffnungsvoll nach Antworten würde suchen können. Ich fand jedoch keine und brach deshalb 1975 zu meiner zweiten Indienreise auf, getragen von der Ahnung, dass ich dort etwas erfahren würde, das mir keine westliche Universität bieten könnte.

Annäherung unter den Koryphäen

Auch heute noch interessiert mich brennend, in welcher Weise Wissenschaftler sich den religiösen Fragen annähern und wie religiöse Menschen – zum Beispiel der Dalai Lama – mit wissenschaftlichen Themen umgehen. Für beide Kontrahenten in diesem alten Konflikt, für die Partei der Religiösen ebenso wie die der Wissenschaftler, ist es ja sehr leicht, auf der Seite des jeweiligen Gegners einen Dummen zu finden, ihn als typischen Vertreter dieser Weltanschauung zu bezeichnen und ihn dann genüsslich auseinander zu nehmen. So knöpfen sich spirituelle Menschen gerne einen Materialisten vor, der an nichts anderes »glaubt« als an Materie und meinen, damit Schulmedizin, Naturwissenschaft und am besten auch gleich die ganze westliche Weltanschauung als große Verirrung enttarnt zu haben. Und die Vertreter des vermeintlich aufgeklärten Westens nehmen religiöse Fundamentalisten und verirrte Esoteriker als passende Beispiele dafür her, dass Religion an sich, im weiteren Sinne alle Metaphysik, eine sichere Reise in den persönlichen Wahnsinn und den zivilisatorischen Ruin bedeute.

Erfolgversprechender ist es jedoch, wenn man sich einigen ausgewählten Koryphäen der beiden Seiten zuwendet und dort nach Verbindungslinien und Berührungspunkten sucht. Etwa Carl Friedrich von Weizsäcker, der 1969 am Grab des Ramana Maharshi ein mystisches Erlebnis hatte (in diesem Heft auf S. 31/32 wörtlich zitiert). Oder Dag Hammarskjöld, der von 1953 bis zu seinem Tod 1961 Generalsekretär der UNO war, er war ein heimlicher Mystiker, erst nach seinem Tod wurde das durch seine Tagebücher bekannt (»Das mystische Erlebnis ist jederzeit: hier und jetzt. In Freiheit, die Distanz ist, in Schweigen, das aus Stille kommt«). Oder Einstein, dieser geniale Wissenschaftler, Mystiker und Humorist, ich könnte ihn endlos zitieren: »Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind« (Wer ihn kennt, weiß, dass er damit die Mystik meinte). »Zeit ist das, was man an der Uhr abliest«. »Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.« »Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr«. »Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom«. »Man muss das Unmögliche so lange anschauen, bis es eine leichte Angelegenheit wird. Das Wunder ist eine Frage des Trainings«.

Und nun, ganz offiziell einer »von der religiösen Seite«, der weltweit am meisten verehrte lebende Weise, der Dalai Lama; er ließ im September 2012 über Facebook verkünden: »Mit ihrer Betonung auf Liebe, Mitgefühl, Toleranz und Verzeihen können alle großen Religionen der Welt innere Werte fördern, und sie tun es auch. In der Realität der heutigen Welt aber ist diese religiöse Begründung von Ethik nicht mehr adäquat. Deshalb bin ich immer mehr davon überzeugt, dass die Zeit gekommen ist einen Weg zu finden, wie wir über Spiritualität und Ethik ganz jenseits von Religion nachdenken können.«

Der Mensch als ethisches Wesen

Zunächst mal zum Thema Ethik. Viele Menschen glauben, dass die Einbettung in eine religiöse Weltanschauung nötig ist, um aus einem Menschen einen guten Menschen zu machen. Ohne eine solche Einbettung »macht er, was er will«. Mit einer solchen aber fürchtet er sich in irgendeiner Anderswelt (z.B. der christlichen Hölle) oder durch sonst eine jenseitige, von ihm nicht manipulierbare Instanz (Karma) bestraft zu werden und tut deshalb Gutes. Es ist aber mittlerweise erwiesen, dass atheistische und unreligiöse Menschen nicht weniger mitfühlend, hilfsbereit oder sonstwie im ethischen Sinne gut sind als andere. Für die Belohnung oder Bestrafung unserer Taten braucht es also keine andersweltliche Instanz. Dass die Päpste im Mittelalter Ganoven, die katholische Inquisition grausam und die missionierende Kolonisation Europas in den eroberten Gebieten kultur- und menschenverachtend war, bleibt dem unbenommen, ebenso wie die Tatsache, dass die größten Schlächter des 20. Jahrhunderts (Hitler, Stalin und Mao) Atheisten waren oder zumindest (im Falle von Hitler) keine im traditionellen Sinne religiösen Menschen.

Das Thema des ethisch guten Handelns bleibt jedoch noch immer mit dem zu versöhnen, wie Darwin den Menschen als ein evolutionär geformtes Lebewesen beschrieben hat. Den berühmten Darwinschen »Kampf ums Dasein« (in Darwin’s O-Ton: survival of the fittest) der Tiere und menschlichen »Wilden« dem angeblich besseren moralisch-ethischen Verhalten des zivilisierten Menschen gegenüber zu stellen ist eine wissenschaftlich nicht haltbare, gleichwohl massentaugliche Kitschversion der ethischen Grundfrage. Wer genauer hinsieht stellt nämlich fest, dass es auch unter Elefanten, Delphinen, Primaten und Wölfen Altruismus und soziales Handeln gibt – unter »den Wilden« (Menschen) sowieso, die sollte man allerdings auch nicht idealisieren.

Alle Philosophie ist Sprachphilosophie

Und dann die Sprache. Analytische Philosophie und Wissenschaftstheorie ist seit dem 20. Jahrhundert (Russel, Wittgenstein, Popper) hauptsächlich Sprachphilosophie im weiteren Sinne. Wobei der Sinn vielleicht noch nicht weit genug gefasst wurde: Auch jede Geste ist ein sprachliches Zeichen, und damit auch jede Form, die ein menschlicher Körper einnehmen kann, der von einem anderen wahrnehmungsfähigen Wesen gesehen wird. Womit wir nicht nur bei der Körpersprache, die meist viel zu eng verstanden wird, sondern auch bei Beuys’ sozialer Skulptur wären. Und noch weiter: beim Schweigen, bei der Stille als Abwesenheit von sprachlicher Kommunikation. Wobei man ja »nicht nicht kommunizieren« kann, wie Watzlawick so treffend sagte, also kommuniziert auch die Stille etwas. Um mit Spiritualität und Mystik nicht gleich Engel, Reinkarnation und Erleuchtungsblitze assoziieren zu müssen, was jeden wissenschaftlich gebildeten Menschen befremdet, könnten wir diese Begriffe z.B. so definieren: Mystik (oder auch Spiritualität) ist das, was die Stille kommuniziert. Sprache wäre demnach nur dann spirituell bzw. mystisch, wenn sie die Stille umkreist und nicht, wenn sie »etwas sagt«.

Jedenfalls ist auch die Sprachphilosophie ein Gebiet, auf dem sich Wissenschaft und Religion widerspruchsfrei begegnen können, wenn denn die Religion erkennt, dass alle religiösen Mythen (alle Gesetze und Gebote und Heilige Schriften und Einweihungen und Heiligsprechungen usw) sprachliche Konstruktionen sind, die tranceinduzierend wirken und als solche das Bewusstsein verändern – leider überwiegend nicht ausweitend sondern einschränkend, einen Wahrnehmungstunnel erzeugend. Und die Wissenschaft muss sich der Herausforderung der logischen Antinomien stellen, die ein sprachphilosophisches Problem sind, das Ende des 19. Jahrhunderts einigen Mathematikern dämmerte. Betrand Russell, für viele der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts, brachte dieses Problem schier zur Verzweiflung – nach eigener Aussage widmete er ihm die besten Jahre seines Lebens (1900 bis 1913) und gab dann auf. Den Wissenschaftstheoretikern und analytischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, die in seinen Fußstapfen wandelten (z.B. Wittgenstein) erging es nicht viel besser: Noch immer sind diese Widersprüche in den Grundlagen der Naturwissenschaften nicht befriedigend gelöst.

Nano- und Mesobereich

Das Problem der logischen Antinomien zu lösen impliziert einen neuen Umgang mit der Subjekt-Objekt Beziehung. Mit dem heute so beliebten Hinweis auf die Unschärferelation der Quantenphysik ist das allerdings nicht getan, denn die regiert den Nanobereich. In diesem Bereich des Allerkleinsten spielt unsere Wahrnehmung eine ganz andere Rolle als im Mesobereich, dem der mittleren Größenordnung, für den unsere Sinnesorgane gemacht sind. Genau genommen sind Begriffe und die Idee, dass es Dinge gäbe, nur mehr oder weniger nützliche Fiktionen. Dabei ist die These, dass es Protonen und Elektronen gibt, eine viel gewagtere als die, dass es Steine, Äpfel und Sonnenuntergänge gibt. Für den Mesobereich hebt die Unschärferelation den Sinn der Subjekt-Objekt Trennung so wenig auf wie die Kernphysik das Newtonsche Graviationsgesetz aufhebt. Der Apfel fällt noch immer vom Baum und die Erde umkreist die Sonne, genau so, wie Newton das in seinem Gravitationsgesetz beschrieb, obwohl im Inneren der Atome ganz andere Kräfte regieren.

Mit der Quantenphysik sind wir in einem Bereich angekommen, mit dem sich der Normal-Esoteriker von heute sehr gerne tummelt, weil sie seinem Weltbild irgendwie zu entsprechen scheint. Was noch Einstein nicht verstehen wollte oder konnte, scheint den Esoterikern von heute kein Problem mehr zu bereiten. Das Ergebnis ist aber nicht Wissenschaft, sondern Wissenschaftskitsch. Die Aussagen dieses Genres sind so wenig falsch wie Plüschherzen und Gartenzwerge, sie sind aber auch nicht richtig und jedenfalls nicht wissenschaftlich.

Religionskitsch

Und so wie man das Gerede der Esoteriker von heute über die Quantenphysik zum größten Teil als Wissenschaftskitsch abtun kann, so ist die These, das Esoterik überwiegend Religionskitsch ist, auch nicht von der Hand zu weisen. Die Thesen der Esoterik sind nicht dümmer als das meiste, was die Religionen zu bieten haben, aber sie kommen vielfach so wohlmeinend, blauäuig und individuell zusammengebastelt daher, dass es auch hier kaum Sinn macht, dazu eine Gegenmeinung zu bilden. »Es ist nicht einmal falsch« sagen Wissenschaftstheoretiker gerne mit einem Schmunzeln über das, was entweder so diffus (»Alles ist Energie«) oder tautologisch (»Es ist, was es ist«) formuliert ist, dass es nicht einmal falsifiziert werden kann. Wenn es wenigstens schön ist, kann man es poetisch nennen – dafür haben auch Hardcore-Wissenschaftler durchaus Sinn, die sind ja mehrheitlich keineswegs Materialisten, sondern Musikliebhaber von Kunst Begeisterte.

Wenn denn Esoterik Religionskitsch ist, warum wirken die Religionen auf uns dann nicht kitschig, obwohl ihre Mythen, wissenschaftlich betrachtet, auch nicht besser sind? Weil sie alt sind; je älter desto ehrwürdiger. So geht es uns ja auch mit den Produkten unserer Warenwelt: Das ganz Neue ist modisch aktuell, das interessiert uns. Nach ein paar Monaten oder Jahren aber ist es »von gestern« und nichts mehr wert. Erst wenn es Oldtimer- oder Antiquitäten-Status erreicht hat, ist es wieder wertvoll. Die Gemüseraspel meiner Oma bringt auf dem Flohmarkt kaum mehr einen Euro ein. Eine Gemüseraspel aus der Bronzezeit aber würde bei Sotheby’s Millionen einspielen, selbst wenn sie beschädigt ist und viel schlechter raspelt als die von meiner Oma. So ist es auch mit den Religionen. Die altindischen Veden sind, von den Upanishaden mal abgesehen, hauptsächlich ein Konvolut von Zaubersprüchen, die weniger Weisheit enthalten als ein Abreiß-Kalender von heute – aber sie sind alt.

Hochbegabt, aber ausgestiegen

Jetzt wieder ein bisschen biografisch, denn auch oder gerade die anspruchsvollsten Themen lassen sich biografisch oft besser vermitteln als sachlich. Zu Schulzeiten galt ich als hochbegabt. Dass ich Jahre später mein Studium abgebrochen hatte, in Thailand in ein buddhistisches Kloster eintrat und ein weiteres Jahr später bei Osho in Poona landete, war für meinen Vater kaum zu ertragen, denn er war Naturwissenschaftler, Atheist und Max-Planck-Institutsleiter, und ich war sein einziger Sohn, mit dem er sich auf wissenschaftlichem Terrain doch so gut verstanden hatte!

Die Generationen

Ein Generationenproblem? Einerseits ja, aber auch eines des Anstoßens an Grenzen, die eine Generation vielleicht nicht ohne weiteres überschreiten kann und dies dann der nächsten überlässt. Ein paar Jahre vor seinem Tod gestand mir mein Vater, dass er in den Jahren seiner schlimmsten Hoffnungslosigkeit mich betreffend, der ich auch nach den Jahren bei Osho nicht von der Mystik lassen wollte, einmal seinen Max-Planck-Kollegen Carl Friedrich von Weizsäcker gefragt hatte, was denn von der indischen Spiritualität zu halten sei. Der konnte ihn immerhin ein bisschen beruhigen, die Tür zur mystischen Erfahrung aber blieb meinem Vater sein Leben lang verschlossen. So reichte er dann im Alter mein Buch »Zauberkraft der Sprache« zwar mit einem gewissen Stolz an seine Wissenschaftlerkollegen weiter und verstand, was ich mit der »tranceinduzierenden Wirkung der Sprache« meinte, er selbst aber meditierte nicht. Die schönsten Momente mit ihm waren für mich, wenn ich merkte, wie radikal sein Humor war. Ein Humor, der in den besten Momenten imstande war, jede persönliche Identifizierung mit was auch immer infrage zu stellen und zu überwinden – zutiefst europäisch, geradezu anarchisch liberal und dabei wissenschaftskonform.

Mystik und Wissenschaft

Vor einigen Jahren fragte mich der Inhaber eines naturwissenschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Bayreuth und Herausgeber zweier wissenschaftlicher Fachzeitschriften, ob ich mit ihm eine Zeitschrift für »Wissenschaft und Mystik« herausgeben würde. Ja, gibt es denn dafür überhaupt einen Markt, war meine Gegenfrage. Welcher Verlag würde so etwas wagen? Er fragte bei dem für ihn zuständigen Ansprechpartner bei Elsevier nach, dem niederländischen Wissenschaftsverlag, der circa 2000 wissenschaftliche Zeitschriften verlegt und heute für seine aggressive Preispolitik berüchtigt ist. Die Antwort von Elsevier war, sie seien prinzipiell dafür offen und verlangten nach einem Konzept.

Finanziell war das Angebot für mich uninteressant – wissenschaftlich Publizierende leben vor allem von der Ehre oder tun es für die Karriere –, doch es hätte mein Lebensthema berührt, die Naturwissenschaften (science) mit der Mystik zusammenzubringen. Ich überlegte eine Weile und entschied mich dann dagegen, weil der Prof aus Bayreuth mir zu esoterisch war. Die Einigung zwischen uns wäre nicht leicht geworden. Mir ist ja sogar Sheldrake schon zu unwissenschaftlich (etwa seine morphogenetischen Felder und sein gerade erschienenes Buch »Der Wissenschaftswahn«). In der Hinsicht bin ich streng: Mystik ist Mystik und Wissenschaft ist Wissenschaft. Die beiden passen wunderbar zusammen, aber eine Verwässerung der Wissenschaft bringt keine Annäherung an die Mystik, sondern ist dann einfach nur schlechte Wissenschaft. Und die Mystik darf poetisch bleiben, sie darf dichten und jubeln, wie Rilke es in so berückend schöner Weise tat, oder Tagore oder Gibran. Wenn sich aber Mystiker oder Esoteriker der Wissenschaft anbiedern, indem sie in ihrem Jargon Platitüden verbreiten, tut das niemandem gut.

Autor: Wolf Schneider

Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971-75) in München. 1975-77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift connection. Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider(at)connection.de, Blog: www.schreibkunst.com

Der Artikel erschien erstmals in der Connection Spirit (www.connection.de) – vielen Dank dafür!

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1 Kommentar

Stefan Schwedler 2. März 2013 - 18:34

Ich stimme der Aussage, daß Mystik und Wisenschaft hervorragend zusammenpassen, absolut zu.
Es ist jedoch eine Gratwanderung der Erkenntnis.
Betreibe ich wissenschaftliche Mystik oder mystische Wissenschaft ?
Das sieht auf den ersten Blick wie eine Wortspielerei aus, ist es aber nicht, wie in Laufe des Textes hoffentlich klar wird.
Es geht vielmehr um die Grenzen der Erkenntis und deren Vermittelbarkeit. Erkenntnis kann grenzenlos sein, seine Vermittelbarkeit den Mitmenschen in Form einer mystischen oder wisenschaftlichen Gemeinde ist es nicht.
Wenn Physiker wissenschaftliche Mystik betreiben, ist ihre Sprache die der Mathematik. Das Ergebnis nennen sie dann String-Theorie mit 7, 11 oder 26 Dimensionen, Branen, Multiversum, Higgs-Feld, dunkle Materie oder dunkle Energie. Es sind die Grenzen momentaner Erkenntnis bzw. deren Vermittelbarkeit.

Wenn Mystiker Wissenschaft betreiben, ist ihre Sprache die der persönlichen Erfahrung. Das Ergebnis nennen sie dann Meditation, Quantenheilung oder einfach Religion. Wobei sie viel stärker das Problem der Vermittelbarkeit haben, da persönliche Erfahrungen nur beschrieben, aber nie wirklich vermittelt werden können, es sei denn, das Gegenüber hat die gleiche Erfahrung gemacht.
Carl Sagan hat das in seinem Buch “Contact” und in der Verfilmung wunderschön beschrieben, als alle Aufzeichnungsgeräte nur Rauschen aufnahmen und es keinen physikalischen Beweis dafür gab, daß die Crew wirklich das erlebte, was sie berichtete.

Aber die interessantesten Fragen betreffen beide Gebiete, sowohl Physik als auch Mystik.
Was ist Zeit ? Was ist Raum ? Und was ist eigentlich Raumzeit ? Was ist Gravitation ? Was ist Energie ?
Wo kommen wir her ?
Und wenn ich eine Antwort auf eine dieser Fragen gefunden habe, wie kann ich sie vermitteln ?

Im Idealfall ist es so, daß ein Mystiker seine Antwort beschreibt, damit einen Physiker/ Mathematiker inspiriert und der dann einen pysikalisch/mathematischen Beweis dafür findet, um diese Erkenntnis einer größeren Gruppe zugänglich zu machen.

Heutzutage ist es aber leider so, daß sich viele Mystiker in ihren Erfahrungen verlieren und ihre Beschreibungen oft zu wünschen übrig lassen. Andererseits verlieren sich viele Physiker in der Mathematik und verstehen nicht, was das, was sie berechnen, eigentlich bedeutet.
Beide meinen eigentlich das Gleiche, sprechen aber unterschiedliche Sprachen.

Würden sie zusammen arbeiten, was könnten wir nicht alles erreichen ?

Physik und Mystik sind zwei Seiten einer einzigen Münze, und nur wenn die Münze genau auf dem Rand steht, entsteht eine für eine größere Gruppe vermittelbare Erkenntnis.
Fällt die Münze auf die eine Seite, verliert man sich in Erfahrungen und Glauben.
Fällt sie auf die andere Seite, fehlt die Bedeutung einer physikalisch/mathematisch beobachteten Erfahrung, die auch manchmal Tatsache genannt wird.

Isaac Newton, der Entdecker der Gravitationstheorie sagte einmal:
“Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.”

Ich würd es zeitgemäß so formulieren:
Jeder wirklich geniale Physiker ist auch ein Mystiker, aber nicht jeder Mystiker ist auch ein Genie 😉

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