Die Dickschiffe und die Meditation – Wolf Schneider

von Redaktion

Heute morgen las ich auf der Seite »Wissen« der SZ, dass Meditation gut ist. Wie schön, das zu lesen! »Meditation gegen Stress – Entspannung kann die Gehirnleistung verbessern« steht da in der Überschrift. Das reduziert Meditation zwar auf ein Mittel zur Leistungsverbesserung, aber immerhin wird diese Jahrtausende alte Praxis hier als etwas Nützliches dargestellt und nicht als eine Verirrung von Spinnern und Sektenmitgliedern.

Ein anderer werden

Es ist gar nicht so lange her, da war mein Vater sehr besorgt, weil ich in Thailand in ein buddhistisches Kloster eingekehrt war zum Meditieren und auch danach nicht etwa heimkehrte in den Schoß der europäischen Kultur, sondern an einem indischen Ashram weiter meditierte. Mein Eintritt ins Kloster war wahrscheinlich der größte Schock im Leben meines Vaters, was seinen Sohn anbelangt. Er war als Naturwissenschaftler mehr als ein halbes Jahrhundert in der biologischen Grundlagenforschung tätig gewesen, voriges Jahr im Juni ist er gestorben. In seiner Verzweiflung über den Sohn hatte er sich eines Tages an seinen Forscher-Kollegen Carl Friedrich von Weizsäcker gewandt, der sich ein bisschen mit indischer Philosophie beschäftigt hatte. Weizsäcker hatte ihn beruhigt. Sinngemäß etwa so: Die indische Philosophie sei nicht so schlecht wie ihr Ruf; vieles davon sei mit unserem europäischen Denken vergleichbar und Meditation nicht grundsätzlich gefährlich. In seinem Buch »Der Garten des Menschlichen« schrieb er (1977 veröffentlicht): »Man wird durch die Meditation kein anderer, sondern man wird der, der man immer gewesen ist.« Ob es meinen Vater eher getröstet hat, dass ich durch die Praxis kein anderer würde werden können, oder ob es ihm eher jede Hoffnung genommen hat, das weiß ich nicht; ich vermute aber, zu meinen Gunsten, dass das erste der Fall war.

Die kritische Masse

Die Zeitschrift Geo brachte Meditation auf den Titel ihrer Januarausgabe. Zu fast demselben Erscheinungszeitpunkt (am 24. 12. 08) auch der Spiegel, und das Thema taucht auch in der Titelstory des aktuellen TIME Magazines (How faith can heal), vom 23. Februar in ähnlicher Weise auf. Meist wird dort auf die gesundheitliche, entspannende und leistungssteigernde Wirkung von Meditation und Glauben (Vertrauen, Zuversicht, Optimismus) hingewiesen; noch nicht oder nur am Rande auf »Meditation an sich«, das sich Versenken und die unvoreingenommene Wahrnehmung der Wirklichkeit. Immerhin, das Assoziationsfeld des Begriffs ist heute ein positives. Auslöser dieser paradigmatischen Änderung waren Forschungsergebnisse. Die gab es seit langem, aber plötzlich hatten sie eine Art kritische Masse erreicht. Oder auch: Plötzlich wurde eine kritische Masse an Geldern und Forscherstunden in dieses Thema gesteckt, was dann, dem Aufwand entsprechend, zu diesen Ergebnissen führte, die schließlich auch von den Medien in diesem Ausmaß zur Kenntnis genommen wurden. Journalisten schreiben ja gerne voneinander ab (viel mehr als Schüler während der Prüfungen; sie werden ja dabei auch weniger beobachtet und jedenfalls nicht dafür bestraft, eher im Gegenteil).

Al Gores Klimaschock

Bei Al Gores Klimaschockthema (An inconvenient truth) war es auch so. Wissenschaftlich war es längst bekannt, aber es wurde von den Dickschiffen der Medien nicht zur Kenntnis genommen. Da musste erst ein Beinahe-Präsident der USA über mehrere Jahre (!) mit Millionen-Aufwand eine Werbe-Kampagne führen, bis dies ins Massenbewusstsein durchdrang: dass unsere Atmosphäre sich erwärmt in beunruhigend schnellem Tempo, und dass wir Menschen mit unserer Lebensweise und insbesondere unserem Energieverbrauch die Ursache dafür sind. Was für ein Aufwand für die Bekanntmachung dieser doch ziemlich einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehung!

Der Klimaschock ist nun in aller Munde. Die Überfischung der Meere noch nicht. Die Verknappung des Trinkwassers und die Verwüstung der Trockengebiete auch noch nicht. Und an das Wachstum der Erdbevölkerung und die Fortdauer von Armut, Hunger, Mangelernährung, fehlender Bildung und Benachteiligung von Frauen haben wir uns so gut gewöhnt wie an die Atomwaffen (und dass immer mehr Länder sie besitzen) und die religiös motivierten Kriege.

Die Blähungen der Crew

Das Dickschiff bewegt sich eben nur sehr langsam. Warum aber merken das nur so wenige seiner Passagiere? Sogar die meisten von der Crew merken es nicht. Die Massen sind in Trance und ebenso auch die sie steuernden und von ihnen gesteuerten Journalisten. Ihre Nahrungsmittel sind Nachrichten, und die werden überwiegend von den Presseagenturen geliefert. Folglich ist die Ernährung ziemlich einseitig – manchmal kommt es mir so vor, als würde der normale Journalist Ereignisse, die nicht Inhalt einer Presseerklärung sind, gar nicht so richtig zur Kenntnis nehmen. Es ist Ende Februar, die Vögel zwitschern in der Sonne heute schon ein bisschen so wie im Frühling, aber das ist in keiner Presseerklärung zu lesen, folglich wird es auch kaum in einer unserer Zeitungen stehen, außer in der einen oder anderen Glosse oder einer romantisch angehauchten Lokalnachricht. Zudem ist es auch keine Katastrophe, und dass Vögel beim Zwitschern gehört wurden ist auch nicht wirklich, im engeren Sinn, neu. Doch zurück zur einseitigen Ernährung der Journalisten: Sie hat, wie jede einseitige Ernährung, gesundheitliche Folgen: Es bekommen auf diese Weise ungefähr alle zur gleichen Zeit Blähungen oder, je nachdem, ein Gefühl von Sättigung; und da »Du bist, was du isst«, werden wir dabei auch alle einander ziemlich ähnlich.

Hauch der Häme

Manche auf dem Schiff aber merken doch immerhin ein bisschen was. So beginnt der Autor dieses kurzen SZ-Artikels (»bart« steht darunter – ist es Werner Bartens?) seinen Text mit »In der Ruhe liegt die Kraft. Was entspannte Zeitgenossen schon länger wissen, beschäftigt in jüngster Zeit auch vermehrt Wissenschaftler.« Das ist sachlich einigermaßen richtig und enthält auch die subtil-ironische Süffisanz, die man für solch einen Text anscheinend auch heute noch braucht, um bei einem der Dickschiffe veröffentlicht zu werden. »Entspannte Zeitgenossen«, da denkt man doch eher an Hippies und Freaks, vielleicht sogar an Obdachlose, weniger an Leute wie Annette Kaiser, Thich Nhat Hanh oder Anselm Grün. Aber gut, ich freue mich über die kleinen Unterschiede: Früher war die Häme krasser, heute ist davon nur gerade noch ein Hauch spürbar, der mich eben noch ein bisschen an vergangene Zeiten erinnert.

Die Großen und die Kleinen

Damals, da wurden Meditierer kurzerhand der Sektenangehörigkeit verdächtigt. 
Sekten, das sind diese kleinen religiösen Gruppen, wo die Leute einem Guru anhängen, Drogen nehmen und, wenn’s schlimm kommt, alle Selbstmord begehen. Ja, es gibt bizarre Gestalten unter den Sektierern, und es gibt auch hie und da mal Selbstmorde. Aber nehmen wir doch mal den Kapitalismus zum Vergleich. Würden wir den als Ganzes verdammen, weil es unter den Unternehmern (und ihren Mitarbeitern) bizarre Gestalten gibt (die gibt es dort reichlich), die auch mal Selbstmord begehen (Adolf Merckle), Drogen nehmen (an der Wallstreet gehören Alkohol und Kokain zu den populärsten) oder Gesetze übertreten (Bernhard Madoff etc.)? Die meisten von uns würden eine solche Pauschalverurteilung zurückweisen; den Kapitalismus bzw. die Marktwirtschaft halten die meisten von uns unter den Wirtschaftsformen (so wie die Demokratie unter den politischen Formen) doch immer noch für das geringere Übel, trotz der bizarren Gestalten, die man dort auch in Führungspositionen (»Gurus«) findet. Fürs allzu Bizarre haben wir ja unsere Rechtsordnung; spezielle Gesetze, die vor »kleinen Unternehmen« warnen und die großen in Schutz nehmen, gibt es zum Glück nicht. Jedenfalls nicht, was die Gesetzestexte anbelangt – von der Wirkung her aber ist es auch in der Wirtschaft so, dass die Kleinen in vielem benachteiligt sind. Bei den Religionen hingegen werden sogar von den Verfassungen der Staaten und entsprechend auch von ihrer Rechtsprechung her der die Großen bevorzugt: Wenn sie nur groß genug sind (»too big to fail«), dann werden sie von den Regierungen ebenso wie von den Richtern in Schutz genommen; man lädt sie in ein »Weltparlament der Religionen« ein und schützt ihre Anhänger vor einer »Verletzung ihrer religiösen Gefühle«. Wenn sie aber klein sind, dann warnt man die Jugend vor ihren Verführungskünsten (»Gehirnwäsche«) und versucht die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sie zu benachteiligen, zu verbieten und ihre Anführer auszuweisen, zu inhaftieren oder wenigstens mundtot zu machen. Um hierfür mal ein Beispiel aus einem anderen Land zu nehmen, da ist es für uns Deutsche leichter, das mit Distanz zu betrachten: die Aleviten in der Türkei. Sie machen dort ungefähr ein Viertel der Bevölkerung aus, werden aber in ihrer anderen religiösen Orientierung bestenfalls nicht zur Kenntnis genommen.

Dabei sind die Sekten, mal ganz nüchtern, religionswissenschaftlich betrachtet, in ihren Praktiken auch nicht bizarrer als die großen Religionen; man hat sich bei den Großen nur ein bisschen mehr daran gewöhnt. Mit gleichem Maß gemessen, müsste man den Papst wohl aus Deutschland ausweisen, sollte er noch einmal versuchen, dieses Land zu betreten..

Gehirnforscher rollen den roten Teppich aus

Zurück zur SZ und dem heutigen Text dort über Meditation: »Im Jahr 2005 hatte die Harvard Psychologin Sara Lazar Hinweise dafür gefunden, dass Meditation die Nervenverknüpfung der Großhirnrinde positiv beeinflusst. Probanden, die regelmäßig meditieren, könnten demnach ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern. Im Kernspin zeigte sich, das die entsprechenden Hirnregionen bei älteren Probanden besonders vergrößert waren – ein ungewöhnlicher Befund, denn üblicherweise schrumpft dieser Bereich im Alter«. So hält nun also über die »Befunde« der Gehirnforschung (»Nervenverknüpfung in der Großhirnrinde«, »Kernspin«) endlich die uralte Tugend und Praxis der Meditation Einzug in unsere seriöse Presse und unsere noblen Institutionen, auch wenn die Art dieses Einzugs in ihrem medizinischen Jargon für alte Meditierer vielleicht ein bisschen komisch wirkt. Macht nichts – der rote Teppich ist ausgerollt. Bald wird Meditation an den Schulen gelehrt werden, das ist meine Prognose, mein Plädoyer und meine Hoffnung.

Abrechnung mit den Wendehälsen?

Dass bei uns in Deutschland immerhin ein paar Millionen seit Jahrzehnten zumindest ab und an glückbringend und gesundheitsförderlich meditieren, obwohl sie von den Dickschiffen verachtet wurden, soll uns das jetzt, wo sich doch gerade der Trend so positiv ändert, noch so viele Worte wert sein? Wollen wir uns mit den Wendehälsen beschäftigen, die heute sagen, sie hätten Meditation schon immer gut gefunden und diejenigen bewundert, die sie mit Disziplin praktizieren? Wollen wir der Untersuchung der selektiven Wahrnehmung und den entsprechenden Geschichtsfälschungen in dieser Sache gebührlichen Raum geben? Gewissenhafte Historiker würden diese Fragen vermutlich bejahen.

Ach, Schwamm drüber! Jetzt wird es besser …

In mir, als einem von diesen alten Meditierern jedoch, ist es nur ein kleiner Teil, der sagt: Eigentlich müsstet ihr euch entschuldigen, ihr Kapitäne und Edelfedern der Dickschiffe, für diese jahrzehntelange Diffamierung dessen, was auch euch selbst und der ganzen Menschheit so gut getan hätte – Meditation, Einkehr, Selbstbetrachtung (die ihr als »Nabelschau« verspottet habt). Der größere Teil von mir aber freut sich über den neuen Trend und sagt: Schwamm drüber! Ihr habt’s nicht besser gewusst. Ich ja auch nicht, einst. Ich bin nur durch ein paar glückliche Umstände drauf gekommen, dass man auch anders leben kann als der naturzerstörerische, menschen- und tiereverachtende Mainstream: meditativer, nachhaltiger, rücksichtsvoller. Wer diese glücklichen Umstände nicht hatte, warum sollte ich denen heute Vorwürfe machen?

© 2/2009 Wolf Schneider

Wolf Schneider, Jg. 1952, Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie (1971-75). Hrsg. der Zeitschrift connection seit 1985. 2005 Gründung der »Schule der Kommunikation«: www.connection.de.

Im September 2009 drehen wir mit Wolf Schneider zwei Interviews für MYSTICA

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