Mythos Erotik – Interview mit Dr. Ruediger Dahlke

von Thomas

ErotikText„Ein Leben ohne erotische Liebe bleibt leer und unbefriedigend“, meint Dr. Ruediger Dahlke, dessen aktuelles Buch sich mit dem Prinzip des Eros befasst. Darin plädiert er für eine natürliche und erfüllende Erotik, die nur durch Polarität statt Gleichheit möglich wird.

Ein Interview von Christian Salvesen

Herr Dr. Dahlke, Ihr neuestes Buch heißt Mythos Erotik. In welcher Hinsicht ist Erotik ein Mythos?

Erotik ist das Thema von Eros, dem Liebesgott, und der ist ein Kind von Liebesgöttin Venus und Kriegsgott Mars und natürlich haben beide Eltern ihren Mythos und ihr Kind, der Liebesgott wiederum seinen eigenen. Es ist schon allein wichtig für uns zu wissen, dass Erotik Anteile von beiden, also von Krieg und Frieden braucht.
Und besonders interessant ist, dass Eros sich in Psyche verliebt und diese erst dadurch in den Himmel erhoben wird, d.h. über die Liebe findet die Seele Erfüllung und Befreiung. Zusammen bekommen die beiden die Tochter Voluptas, die Wolllust, die also ein göttliches Kind ist und Anerkennung verdiente.

Was macht Eros zum Ur- und Lebensprinzip?

Er verbindet die beiden gegensätzlichen Ur- oder Lebensprinzipien Venus und Mars, und mit der erotischen Liebe entsteht daraus etwas Eigenes, Neues und Wundervolles, dass es sich lohnt, von einem neuen eigenen Lebensprinzip zu sprechen. Schließlich dreht sich selbst noch in unserer modernen Welt fast alles darum, kaum ein Spielfilm kommt ohne erotische Liebesgeschichte aus. Und vor allem bleibt ein Leben ohne erotische Liebe leer und unbefriedigend.

Was symbolisiert der Pfeil des Eros?

Vieles, aber vor allem seine Treffsicherheit und natürlich die archetypische Kraft des Vaters Mars – ist der Pfeil doch eine der, wenn nicht die früheste Geschoßform. Eros trifft absolut zielsicher mitten in unsere Herzen, auch wenn die bürgerliche Welt das inzwischen skeptisch sieht und Eros an den Rand ihrer Gesellschaft gedrängt hat. Er symbolisiert aber auch den Spermienpfeil, der sich beim Krieg der Spermien mit Millionen Kampfgefährten in die Schlacht Richtung Eizelle wirft, um neues Leben zu zeugen.

Und was meinen Sie, wenn Sie schreiben: „Eros spielt auf diesem Weg die Rolle eines himmlischen Controllers. Er wird mit seinen Pfeilen immer wieder testen, ob wir wirklich noch auf unserem Weg sind.“?

Wenn wir irgendwann irgendwo festhängen ohne es zu merken, kann ein Pfeil von Eros uns wieder in Bewegung bringen. So viele Menschen haben schon erlebt, wie eine Verliebtheit ihr langweiliges Leben wieder spannend machte.
Eros kontrolliert gleichsam, ob jemand noch im Fluss ist, wo er sich natürlich jedweder neuen Situation anpassen kann. Aber kaum hat er sich eingemauert oder entsprechendes mit sich geschehen lassen, können Eros Pfeile ihn wieder heraus und ins Leben hineinreißen. Sie können ihm aber auch seine Misere deutlich machen, wenn er nicht antwortet und so sein Elend wenigstens spürt. Eros testet also, ob jemand noch ansprechbar fürs Leben ist.

Sie schreiben: „Das Lebensprinzip Eros ist und bleibt (immer noch) in Widerspruch zur Kultur, sinkt in den Schatten und kommt als Krankheitsbild wieder ans Licht, worauf die Schulmedizin die Antwort schuldig bleibt.“ Können Sie das erläutern?

Eros hält sich nicht an die bürgerlichen Abmachungen, sondern versendet seine Pfeile kreuz und quer durch alle gesellschaftlichen Ebenen, ohne Rücksicht auf Alters- oder Standesunterschiede. Ihm ist es egal, ob sein An- und Eingriff gerade passt oder im Gegenteil alles durcheinander wirbelt. Sein Anliegen ist einfach Lebendigkeit zu vermitteln, dort wo sie eingeschlafen oder noch gar nicht erwacht ist. Eros bedient sich dabei unserer Natur und ihrer Triebe und wenn wir seine Eingriffe ignorieren und Anstand und guter Sitte den Vorzug geben, richten sich seine Liebesenergien nicht selten gegen die Getroffenen. Unterdrückte Triebe treiben bekanntlich und wer dem Widerstand leistet, wird nicht selten krank. Entsprechende Krankheitsbilder bilden dann meist die verweigerte Aufgabe – im Sinne von “Krankheit als Symbol” – auf der Körperbühne ab. Statt einen Seitensprung in Herzensangelegenheiten zu wagen, muss dann oft das Herz aus der Rolle fallen und daneben schlagen wie bei Extrasystolen und Rhythmus-Störungen, die nun verdeutlichen, dass hier jemand eigentlich völlig von der Rolle ist und besser im übertragenen Sinn aus der Reihe tanzen, über die Stränge schlagen und verrückt spielen sollte, indem er seine Verliebtheit lebt, statt unterdrückt. Wer all das seinem physischen Herzen überlässt, belädt es (un)ordentlich und auch gefährlich. Die Schulmedizin hat da mit ihren Anti-Arhythmika und Beta-Blockern eher keine nachhaltige Chance.

Erotik ist gesund, weil….?

Da gibt es viele Gründe und inzwischen sogar einige Studien, die zum Beispiel zeigen, daß gelebte Liebesfeste sich günstig auf Blutdruck und Herzfunktion auswirken. Aber wichtiger ist noch wie Eros unser Leben in Gang bringt und Bewegung in festgefahrene Lebenssituationen und Beziehungen.
Vor allem ist gel(i)ebte Erotik auch ein Weg, sich den anderen Formen der Liebe anzunähern wie der venusischen zuerst, aber auch die Freundschaftsliebe (Philia) und sogar die göttliche Liebe werden durch sie gefördert, vermittelt doch erotische Liebe, schon einmal den Geschmack von Ekstase und Einheit.

Sie schreiben von einem vierten Archetyp der Liebe in der Antike?

Nach Erotik, der sinnlichen Liebe, Philia, der Freundschaftsliebe, und Agape, der göttlichen Liebe, kommt noch Venus, die Liebesgöttin dazu. Sie kann helfen, aus Verliebtheit Liebe zu machen und später vor allem auch, die Schatten zu integrieren.

„Menschen, die im Hinblick auf Erotik frei sind, wären weniger leicht beherrschbar, aber sie könnten viel mehr beherrschen und auch sich selbst besser beherrschen.“ Kurzer Kommentar?

Menschen in Liebe oder gar Verliebte sind in keiner Weise steuerbar, sondern wirken eher verrückt und völlig auf das eine, nämlich ihren Partner, fixiert. Sie würden sich über alles hinwegsetzen, um zueinander zu können.
Wer Erotik frei leben kann, ist natürlich nicht von seinen verdrängten Trieben getrieben wie die meisten, sondern ungleich mehr Herr in seinem eigenen Leben und in seinem Körperhaus. Er ist nicht von seinen unbefriedigten Sexualorganen, sondern eher Herz- oder Hirn gesteuert. Natürlich kann sich so jemand besser beherrschen und beherrscht auch seinerseits das Leben besser.

Gibt es Hilfe bei Eifersucht?

Hinter jeder Sucht steckt eine gescheiterte Suche. So gilt es auch bei Süchten wie Hab- oder Eifersucht, die sich aus der Obhut der Medizin befreit haben und inzwischen schon als normal für die Bürgerwelt gelten, Hilfe und Heilung zu suchen. Zuerst muss man sich aber einmal klarzumachen, dass Eifersucht sogar eine besonders schwere Sucht oder Krankheit ist, die auf Dauer jede Beziehung ruiniert. Wenn sie nicht überwunden wird, bringt sie mit der Partnerschaft auch beide Partner ums Leben in dem Sinne, dass sie sich nicht frei entfalten und ihr Leben wagen können.
Dann muss verstanden werden, dass sich andere Seelen nicht besitzen lassen, aber dass es möglich ist, die eigene zu erkennen und sich ihr ganz zu öffnen. Genau dazu wäre der Partner die Chance, lässt sich doch über ihn für die Frau der Animus oder männliche Seelenanteil finden und integrieren und für den Mann die Anima, die weibliche Seele.

Was ist für Sie das wichtigste an Eros bzw. der Erotik für uns heute?

Sein befreiendes Potential, dass wir heute ideale Bedingungen haben und statt zu jammern einfach lieben könnten. Wir haben erstmals genug Wissen und Bildung in einer breiten Mehrheit, keine wesentlichen Einschränkungen mehr seitens Kirche und Staat und Frauen, die selbstbewusst genug sind, sich wieder Erotik und dafür „richtige Männer“ zu wünschen.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Prinzip Eros und dem indischen Tantra?

Natürlich, das indische Tantra wie auch der tantrische Buddhismus sind ausgesprochen anspruchsvolle Philosophien, während Eros wirklich nur ein Archetyp oder Lebensprinzip ist, allerdings ein sehr wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste. Und wir sind im Westen so weit weg von den großen tantrischen Strömungen des Ostens, dass wir gut beraten sind, uns diesem großen Thema über den uns ungleich näheren Mythos der Antike zu nähern. Außerdem entsteht ja gerade ein neuer Mythos in Romanform, der extrem einfach, aber trotzdem wichtig und beachtenswert ist.

Was ist falsch gelaufen mit der sogenannten Emanzipation der Frau? Wie können Mann und Frau zurückfinden zu ihrer ureigenen „Position“ und ihrem Selbstverständnis – in der Polarität?

Da ist gar nichts falsch gelaufen, sondern nur wie eben immer auch ein Schatten entstanden. Die Studentenbewegung von 1968 wollte den Kapitalismus abschaffen und hat zum härtesten Kapitalismus beigetragen, der je war. Das Elend, das uns heute quält, wird ja ganz wesentlich von 68-ern geleitet. So ist es auch bei der Emanzipation gelaufen. Eigentlich war ihr Ziel, dass es allen Frauen besser gehen sollte. Das ist auch auf verschiedenen Ebenen gelungen. Wenn auch nicht allen, geht es doch den meisten Frauen heute sozial ungleich besser… aber andererseits fehlen den Frauen heute die Männer, die sie sich wünschen, weil die dabei auf der Strecke blieben. Mit der Schattenseite muss man immer rechnen, aber ausgerechnet Linke – und daher kommt ja die Emanzipationsbewegung – sind besonders schattenblind und wehren sich erfahrungsgemäß am meisten gegen alles aus dem spirituellen Bereich.

Was finden Sie besonders schön und wichtig in Ihrer eigenen Partnerschaft?

Dass wir über alles reden können und es auch tun, unsere Phantasien teilen und gemeinsam leben. Uns nach über fünf Jahren immer noch so anmachen und noch so viele gemeinsame Träume haben und diese auch Schritt für Schritt verwirklichen wie jetzt gerade diesen großen Traum TamanGa, unser eigenes Seminar und Lebenszentrum.

Die Fragen stellte Christian Salvesen. Teile des Interviews sind im Allegria Magazin Nr. 2/2013 veröffentlicht.

Christian Salvesen ist Journalist, Redakteur und Buchautor: www.christian-salvesen.de

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