Auferstehung: Was sagt uns die Ostergeschichte heute? – Christian Salvesen

von Thomas
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Ein Altar-Flügel des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald: Die Auferstehung

Die christliche Botschaft der Auferstehung ist radikal und geradezu unglaublich. Darin liegt zugleich ihre Durchschlagskraft. Christian Salvesen geht dem Mythos nach im Kontext von Bibel, Wissenschaft und Mystik

 

Ostern ist das christliche Fest der Auferstehung. Die „Frohe Botschaft“ lautet: Christus ist von den Toten auferstanden und zum Himmel aufgefahren. Er ist für uns freiwillig am Kreuz gestorben. Wer an ihn glaubt, wird ebenfalls auferstehen und ewig leben. Und wer glaubt das? Laut einer Emnid-Umfrage für den Fokus im April 2011 glauben 62% der Deutschen nicht mehr an die Ostergeschichte.

Die Geschichte selbst wird in den Vier Evangelien unterschiedlich erzählt. Allen Versionen gemein ist, dass die tatsächliche Verwandlung des Leichnams von Jesus in einen unsterblichen Leib nicht beschrieben wird. Das hat niemand gesehen und wird als göttliches Mysterium offen gelassen. Gemeinsam ist, dass als erste Zeugen Jüngerinnen genannt werden. Sie finden am frühen Morgen des dritten Tages nach der Bestattung in der Grabhöhle den großen Felsbrock vor dem Eingang weggerollt. Das Grab ist leer.

Bei Lukas und Markus sagen zwei Engel in weißen Gewändern den Frauen, sie sollen den anderen Jüngern verkünden, dass ihr Meister von den Toten auferstanden sei. Die glauben kein Wort. Damals galten Frauen grundsätzlich als unglaubwürdig und wurden als Zeuginnen nicht anerkannt. Umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet Frauen im Neuen Testament als einzige Zeuginnen auftreten. Später erscheint der tot geglaubte Meister seinen Jüngern mehrmals, wird aber zunächst nicht erkannt. Das heißt, er sieht offenbar anders aus als vor seiner Kreuzigung.

 

Im Johannesevangelium ist es Maria Magdalena – heute gilt sie etlichen Religionswissenschaftlern als die Geliebte von Jesus – die vor dem leeren Grab steht und einen Mann, den sie für einen Gärtner hält, entsetzt fragt, wo der Leichnam sei. Der angebliche Gärtner sagt nur ein Wort: „Maria.“ Daraufhin erkennt sie Jesus und will ihn umarmen. Doch der wehrt ab. In der lateinischen Bibel heißt es „Noli me tangere!“ (rühre mich nicht an!). Mit der Begründung, „er sei noch nicht zum Vater aufgefahren.“ Viele Künstler haben diese Situation dargestellt. Die Antwort ist mysteriös. Befindet sich sein neuer Leib in einer Art empfindlicher Übergangsphase?

Es scheint keine äußere Ähnlichkeit zu bestehen. Die frühen Zeugen (Zeuge heißt auf Altgriechisch „märtyros“) erkennen den Auferstandenen an anderen Merkmalen. Die Jünger von Emmaus daran, wie der Mann, der mit ihnen mehrere Stunden gewandert ist, bei ihnen zuhause das Brot bricht. Einen Sonderstatus genießt der „ungläubige Thomas“. Er darf die Wundmale des Herrn berühren. Das steht in einem gewissen Widerspruch zum „noli me tangere“ gegenüber Maria Magdalena.

 

Deutungen im Kontext der Zeit

Dass ein Mensch von den Toten aufersteht und in einem wie auch immer gearteten, wiedererkennbaren Leib 40 Tage noch Freunde besucht und dann schließlich auf einer Art Wolke zum Himmel aufsteigt, „Von nun an bis in alle Ewigkeit sitzend zur Rechten Gottes…“ Das allen Ernstes zu glauben dürfte eine ziemliche Herausforderung für jeden Christ sein, der sich seine eigenen Gedanken macht.

In welcher Situation befindet sich wohl das sehr intelligent und mitfühlend wirkende Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Franziskus? Zweifelt er manchmal an der Auferstehung? Tertullian, ein früher Kirchenvater (160-222 n. Chr.), formulierte hinsichtlich der Auferstehung: „Es ist gewiss, weil es unmöglich ist.“ Er meinte damit: Etwas so Absurdes, was aller Erfahrung widerspricht, kann man nur behaupten, wenn man es tatsächlich – wie die Jünger – gesehen und erfahren hat.))

Ob der Wanderprediger Jesus heute noch bekannt wäre ohne den Mythos seiner Auferstehung? Sehr unwahrscheinlich. Und Paulus, der wie kein anderer das Christentum konzipiert und verbreitet hat, sieht in der leibhaftigen Auferstehung den Kern der neuen Lehre. In einem Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt er: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“

Welch eine Vorstellung: ein echter Mensch, kein Gott wie Zeus, überwindet den physischen Tod und lässt andere Menschen daran teilhaben! Sie können ihm in die Ewigkeit nachfolgen, wenn sie an ihn glauben. Im alten Rom war das für viele – auch und gerade arme Menschen – überaus verlockend. Das verhieß Erlösung von diesem meist schrecklichen Erdenleben.

Die Geschichte von Jesus hatte einige Vorläufer. In dem phantastischen Gemisch aus östlichen spirituellen Lehren, die über Alexander dem Großen aus Indien in den Mittelmeerraum transportiert worden waren und den zahllosen Mysterienkulten von den Pharaonen bis zum Orakel von Delphi war die Auferstehung nicht ganz fremd. Einige Beispiele: Der Vogel Phönix verbrennt und steigt immer wieder aus seiner eigenen Asche auf. Osiris, der ägyptische Gott des Todes, wird von seinem rachsüchtigen Bruder zerstückelt, die Körperteile legt seine Schwester liebevoll zusammen, sodass er zu neuem Leben erwacht. Orpheus befreit Eurydike aus der Unterwelt. Zarathustra, der Begründer der persischen Religion des Lichts, spricht von einer Auferstehung der Toten in Verbindung mit einem Endgericht. Vedische und buddhistische Lehren kursieren unter Eingeweihten.

Im Tanach der Juden gibt es einige Hinweise auf eine Auferstehung der Toten. „Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht.“ Hier ist bereits von den drei Tagen die Rede, die im Evangelium bedeutsam werden und auf die sich Martin Luther im Glaubensbekenntnis bezieht: „Niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.“

 

Metaphysische Deutungen

Es gibt unterschiedliche Versuche in unserer Zeit, die Auferstehung Jesu rational zu erklären. Die ganz pragmatische Sicht: Jesus war am Kreuz nur scheintot und wurde mit Hilfe von eingeweihten Freunden außer Landes gebracht. In Kaschmir soll sein Grab sein. Das erledigt die Frage nach der Auferstehung.

Eine ganz andere, metaphysische Deutung stammt von Yogananda, der in seiner „Autobiografie eines Yogi“ etliche Phänomene beschreibt, die wie Märchen klingen. Ein Meister taucht an mehreren Orten gleichzeitig auf, verschwindet vor den Augen seiner Schüler oder lebt wie der sagenhafte Babaji viele Jahrhunderte ohne zu altern. Laut Yogananda liegt der Schlüssel zur Auferstehung Jesu im Bereich feinstofflicher Ebenen. Yoganandas Guru Yukteswar verstarb am 9.3.1936, nachdem er sich zu diesem Zwecke voll bewusst im Yogasitz niedergelassen hatte. Am 19.6. desselben Jahres erschien er Yogananda, offensichtlich körperlich (wie dieser bei einer Umarmung feststellte), in dessen Hotelzimmer in Bombay und berichtete, dass er jetzt auf einem Planeten der Astralebene namens Hiranyaloka wirke. Ähnlich sind die Ansichten von Theosophen und Anthroposophen. Auch in den Lehren von Sri Aurobindo und der Mutter ist von einer Art Auferstehung die Rede, die durch eine vollkommene Durchgeistigung aller Körperzellen möglich sein soll.

Von christlich-fundamentalistischer Seite kommt häufig der Vorwurf, die Wissenschaft habe den Glauben an die Auferstehung zerstört. Richtig ist: Im Zeitalter der Aufklärung um 1800 wurden die kirchlichen Dogmen zunehmend an den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung gemessen. Und eine Behauptung wie „Jesus von Nazareth wurde im Jahr 30 von den Toten auferweckt und sitzt seitdem mit einem unsterblichen Leib zur Rechten Gottes…“ lässt sich nun einmal wissenschaftlich nicht halten. Der Glaube an die Auferstehung ist aber deshalb nicht erledigt. Darauf gehe ich gleich noch ein.

Die Wissenschaft hat heute für viele so etwas wie die Rolle der Religion übernommen. Doch zunehmend werden Verbindungen zu religiösen Vorstellungen deutlich. Da nehmen einige Quantenphysiker an, eine leibhaftige Auferstehung sei denkbar. Denn jede Körperzelle, ja sogar jedes Atom sei zugleich immaterielles Bewusstsein. Das würde im Moment des physischen Todes mit Überlichtgeschwindigkeit in ein zeitloses Kontinuum transportiert.

 

Was Theologen glauben

Mein Vater war Pastor in der lutherisch-evangelischen Kirche. Er diskutierte mit uns nicht über seinen Glauben. Wir Kinder hörten ihm zu. In der Kirche und zuhause. Manchmal scherzte er, wie er Mutti nach seinem Tod in ihrem Musikhimmel besuchen würde. An der Existenz eines Himmels schien er nicht zu zweifeln. Später stellte sich heraus, dass er fast alle Ersparnisse für wohltätige Zwecke gespendet hatte. Er hatte Angst, in die Hölle zu kommen. Denn auch das ist eine mögliche Auferstehung.

Intellektuell befasste er sich mit den maßgeblichen evangelischen Theologen seiner Zeit. Rudolf Bultmann (1884–1976) sah in den neutestamentlichen Auferstehungsberichten nicht einen Beweis für ein historisches Ereignis – die einmalige Transformation eines Sterblichen zum Gott – sondern es ging ausschließlich um die Botschaft.

Einen ähnlichen Ansatz vertritt Eugen Biser (1918-2014), Fundamentaltheologe und Befürworter einer christlichen Mystik. wenn er darauf besteht, nicht danach zu fragen, woher Jesus auferstanden sei – nämlich von den Toten – sondern wohin: Nämlich in unser aller Herz. Er beruft sich dabei auf Paulus, der sagt: „Ich lebe, doch nicht ich – Christus lebt in mir. Sofern ich aber noch in diesem Fleische wohne, lebe ich im Glauben an den Gottessohn, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Die Suche nach dem Wohin der Auferstehung wird in der Schule des Apostels Paulus also in die Innerlichkeit des Menschen verlegt: „Christus möge durch den Glauben in euren Herzen wohnen“ (Eph 3, 17). Wohin ist Jesus also auferstanden? In die Herzen der Glaubenden. Das kann als Mystik verstanden werden.

 

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Arrigo Fiamingo: „Die Auferstehung Christi“, Sixtinische Kapelle

Christliche Mystiker und die Auferstehung

Im 20. Jahrhundert waren es vor Eugen Biser vor allem die Theologen Karl Rahner (1904-1984) und Paul Tillich (1886-1965), die sich für die Mystik stark machten: „Ein Element der Mystik ist in jeder Religion und in jedem Gebiet vorhanden. Wo diese Erfahrung fehlt, bleibt nichts anderes als ein Lehrsystem oder eine moralische Schule übrig, aber keine Religion.“ (Tillich). „Der Christ des 21. Jahrhunderts wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein.“ (Rahner)

Bereits im 6. Jahrhundert schrieb der syrische Theologe Dionysius Areopagita ein Werk mit dem Titel „Die mystische Theologie“. In der Mystik gehe es darum „die göttlichen Dinge nicht nur zu erlernen, sondern zu erfahren“ (wörtlich „erleiden“ vom griechischen Verb „pathein“). In diesem Sinne haben viele christliche Mystiker und Mystikerinnen des Mittelalters geschildert, wie sie die Vereinigung mit Gott, mit dem Absoluten erfuhren. Mechthild von Magdeburg sieht Gott als Bräutigam und die Seele als Braut. Meister Eckhart sagt: „Der in Gott versetzte Mensch wird von Freude durchkitzelt, in allem, was er tut und lässt!“

Es gibt allerdings kaum ein Zitat von christlichen Mystikern über die leibliche Auferstehung Christi. Sahen die Mystiker in der Auferstehung etwas anderes sahen als die Kirche verkündete? Sie erfuhren eine unmittelbare Vereinigung mit Gott, mit dem Unendlichen, da war der Glaube an eine leibliche Auferstehung des Gottessohnes womöglich überflüssig, wenn nicht gar absurd. Die mystische Erfahrung der Auferstehung bezieht sich nicht auf einen anderen, und sei es auch der Sohn Gottes, sondern auf mich selbst. Mir ist kein christlicher Mystiker bekannt, der öffentlich bekannt hätte: „Siehe, ich bin auferstanden von den Toten – wie Christus.“ Doch es gibt Andeutungen einer radikalen Transformation, etwa bei Meister Eckhart oder Johannes vom Kreuz, die ein Loslassen von allen irdischen Bindungen und eine Befreiung von Zeit und Raum bedeuten.

Als eine lebensverändernde Transformation verstanden kann jeder von uns eine Auferstehung erleben. Nach einer Erfahrung von Tod, die nicht der körperliche Tod sein muss, kann sich das Leben in einem völlig neuen Licht zeigen, alles scheint wie verwandelt. Etwas in der Art wird in spirituellen Traditionen des Ostens auch als „Erleuchtung2 oder „Erwachen“ bezeichnet – und auch Paulus spricht ja von einem „aufgeweckt sein“. Die Auferstehung ist ein mächtiges Bild, das auch im alltäglichen Leben eine starke Wirkung entfalten kann.

Christian Salvesen

 

Christian Salvesen ist Autor, Künstler und Kenner der spirituellen Szene. 1951 in Celle geboren, Magister der Philosophie und Musikwissenschaften, Komponist und Musiker, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist/Redakteur und hat etliche Bücher veröffentlicht, darunter „Advaita“ und „Liebe – Herz aller Weltreligionen“. In den 80ger Jahren leitete er in eigenen, erfolgreichen Rundfunksendungen beim WDR und NDR zur Meditation und zum Bewussten Hören an.

http://www.christian-salvesen.de

 

Buchtipps
Jörg Zink: Auferstehung – Und am Ende ein Gehen ins Licht. Herder, 2011
Claudia Janssen: Endlich lebendig: Die Kraft der Auferstehung erfahren. Kreuz Verlag, 2013
Paramahansa Yogananda: Die Wiederkunft Christi – Die Auferstehung des Christus im eigenen Inneren. Self-Realization Fellowship. 2013

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