Über die Wut – Dr. Daniel Dufour im Gespräch mit Oliver Bartsch

von Thomas
WutText

© benicce / photocase.com

„Wut gehört wie Trauer und Freude zu den natürlichen Emotionen, die wir von Geburt an empfinden und die danach verlangen, akzeptiert und ausgelebt zu werden. Gestehen wir uns diese Emotionen jedoch nicht zu, sondern lassen sie durch unsere ‚Denke‘ blockieren, führt das zu inneren Anspannungen, die sich in Zornausbrüchen oder aber in körperlichen und seelischen Krankheiten äußern können. Erlauben wir uns dagegen, unsere Wut – ganz für uns selbst – auszuleben, finden wir zurück zu unserem wahren Ich und damit zu Gesundheit und Wohlbefinden.“ In seinem Ratgeber „Wut ist gut!“ erklärt der Arzt und erfolgreiche Ratgeberautor Dr. med. Daniel Dufour, wie wichtig die Liebe zu sich selbst und der richtige Umgang mit unseren Emotionen sind.

Ein Interview von Oliver Bartsch

Nach „Das verlassene Kind“ und „Die Heilkraft innerer Krisen“ arbeitet Ihr neues Buch erneut das Erkennen und Ausleben von Emotionen als entscheidende Etappe eines Heilungsprozesses heraus. Worin unterscheidet sich „Wut ist gut!“ von seinen Vorgängern?

Dr. Dufour: Das Buch liegt auf einer Linie mit den vorangegangenen, der Schwerpunkt liegt aber dieses Mal bei den Emotionen und dem Einfluss, den wir gewinnen, wenn wir uns zugestehen, sie auszuleben. Der durchaus provokante Titel weist darauf hin, was für eine wichtige Emotion die Wut doch ist, denn wenn sie nicht ausgelebt wird, kommt es zu Gewaltausbrüchen – nicht nur gegen uns selbst, sondern auch gegenüber anderen. Diese Gewalt ist die Folge der Unterdrückung unserer Wut durch die „Denke“ – und leider auch in unserer Gesellschaft immer häufiger.

Viele Ihrer Erkenntnisse verdanken Sie Ihren früheren Erfahrungen als Arzt in Krisengebieten und Koordinator des Internationalen Roten Kreuzes. Was davon ist speziell in dieses Buch eingegangen?

Kriege und bewaffnete Konflikte verursachen Leid, und es ist erstaunlich festzustellen, dass es den Opfern derselben meist gelingt, trotz Bombardements und anderer Übergriffe im Hier und Jetzt zu leben. Außerdem schaffen es Menschen immer wieder, trotz aller erlittenen Gewalt einfach weiter zu existieren. Das hat mich immer beeindruckt, auch wenn ich mir angesichts der Notsituationen und der stressigen Arbeit damals nicht zu viele Fragen stellte. Die Gewalt, die bewaffnete Konflikte oder auch die Situation der politischen Gefangenen auszeichnete, welche ich traf, ist enorm, und Wut empfinden alle Beteiligten: die einzelnen Kriegsparteien genauso wie die Opfer oder die Unterdrücker. Diese Gewalt kann sich gegen die eigene Person richten oder gegen andere. Der Schaden ist oft immens und hat seine Ursache in einer zurückgehaltenen Emotion, die lange und dauerhaft unterdrückt wurde: der Wut, ob sie nun angeboren ist oder durch politische, religiöse oder andere Einflüsse ausgelöst wurde. Auch in unserer angeblich so hoch entwickelten Gesellschaft trifft man auf diese Gewalt, die sich in vielen Situationen im Alltag äußert.

Die OGE-Methode wendet sich sowohl gegen die bloße Symptombehandlung der Schulmedizin als auch gegen alternative Verfahren, die der „Denke“ verhaftet bleiben. Welche Ansätze sind darunter zu fassen und worin besteht deren therapeutisches Missverständnis?

Die Schulmedizin konzentriert sich auf Symptome und Krankheiten und kämpft gegen diese an. Auch die kopflastigen Therapien wie Psychoanalyse oder positives Denken schlagen denselben Weg ein. Gegen eine Krankheit anzukämpfen, ist eine mögliche Vorgehensweise, doch oft stellt sich heraus, dass dieser Kampf von vornherein verloren ist. Ich vergleiche das gerne mit einem Wasserleck: Als Sofortmaßnahme mag es im Notfall vielleicht angehen, mit Wassereimer, Besen und Schwamm die Überschwemmung einzudämmen; aber das eigentliche Problem, das ständig nachfließende Wasser, lässt sich so niemals in den Griff bekommen. Allein die Entdeckung der Ursache (nämlich der undichten Stelle in der Wasserleitung!) wird es ermöglichen, das Problem endgültig zu lösen. Das Gleiche gilt für die OGE-Methode, welche die Ursachen anpackt und dem Betroffenen so erlaubt zu genesen, statt gegen seine Leiden anzukämpfen, ob sie nun körperlicher oder seelischer Natur sind.

Wut wird meist als negative Emotion verstanden, die es zu beherrschen gilt, um Schlimmeres zu verhindern. Was ist daran falsch und was ist eigentlich das „Gute“ an der Wut?

Wut gehört zu den drei natürlichen Emotionen, die wir von Geburt an empfinden. Genau wie Trauer und Freude ist sie weder positiv noch negativ. Eine Emotion bedeutet Energie, die danach verlangt, in uns zu zirkulieren. D.h. sie will anerkannt, empfunden und ausgelebt werden. Wut ist etwas Gutes, denn sie erlaubt es dem Betroffenen, etwas in seinem Leben zu verändern und sich zu weigern, in Schemata gepfercht zu werden, die nicht die eigenen sind. Im Grunde hilft die Wut uns, ein erfülltes Leben zu führen. Wenn die „Denke“ sie blockiert, kommt es zu unerfreulichen Erfahrungen wie cholerischen Anfällen oder Gewaltausbrüchen, die sich gegen andere oder gegen die eigene Person richten. Letzteres äußert sich dann in Krankheiten, denn unsere körpereigene Abwehr ist durch die entstandene Anspannung geschwächt oder lahmgelegt. Folglich ist es von übergeordneter Bedeutung, die Wut zu akzeptieren, sie sich zu erlauben und sie allein und für sich auszuleben, um sich etwas Gutes zu tun. Das wird in uns einen Energiefluss auslösen und uns von den Folgen der Anspannung befreien, welche durch die Blockade ausgelöst wurde. Dann geht es uns besser und wir leben auch besser!

Ein umfangreiches Kapitel des Buches widmet sich dem Thema „Gewalt“, die meist in Verbindung mit „Wut“ gesehen wird. Was sind die wirklichen Ursachen für Gewalt und wie kann man ihr vorbeugen?

Kinder kommen nicht gewalttätig zur Welt. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur einen Säugling zu betrachten, dann weiß man es. Er lebt seine Emotionen im Hier und Jetzt aus und wechselt ohne Probleme und Blockaden von einer zu anderen. Leider wird ihm im Laufe seiner Erziehung nach und nach beigebracht, dass es gute und schlechte Emotionen gibt. Zu Letzteren wird die Wut gezählt, die aber mit Zorn und cholerischen Anfällen gleichgesetzt wird, welche in der Tat sehr negativ sind. Was geschieht, wenn Wut durch die „Denke“ blockiert wird? Es taucht sofort eine Anspannung auf, und dann bieten sich uns zwei Möglichkeiten: Entweder behalten wir alles für uns und implodieren, was sich in Unwohlsein und Krankheiten äußert, die ja eine Form der Gewalt darstellen, welche sich gegen uns selbst richtet. Oder wir explodieren früher oder später und werden gewalttätig gegenüber anderen, was in unserer Gesellschaft immer häufiger der Fall ist. Es gibt aber einen dritten Weg, und den thematisiert das Buch: Man respektiert sich und geht liebevoll mit sich um, was ganz selbstverständlich dazu führt, auch andere zu respektieren. Einem jeden Menschen stehen einfache (aber keineswegs banale!) Werkzeuge zur Verfügung: einfach versuchen, im Hier und Jetzt zu leben, um zu erkennen, dass man Wut in sich trägt, sie akzeptieren, empfinden und schließlich ausleben. Aber Vorsicht! Das geschieht nicht auf Kosten anderer, sondern nur in der Absicht, sich selbst Gutes zu tun. Folglich macht man das allein, ohne dass andere zugegen sind und Gefahr laufen, darunter leiden zu müssen.

Der „Mangel an Selbstliebe“ soll Ihrer Ansicht nach die Quelle aller Übel und Ursache verschiedenster Beschwerden sein. Was ist damit genau gemeint und wie lässt sich die „Liebe zu sich selbst“ wieder zurückgewinnen?

Mangelnde Liebe zu sich selbst ist in der Tat die Wurzel aller Übel, unter denen wir leiden, sowohl körperlich als auch seelisch. Die „Denke“ trennt uns vom Hier und Jetzt ab und projiziert uns in die Zukunft mit ihrem Gefolge aus Ängsten, Furcht und Beklemmung oder mangelndem Selbstvertrauen. Oder sie projiziert uns in die Vergangenheit, woraufhin dann Bedauern, Reue und Schuldgefühle auftauchen. Die „Denke“ trennt uns auch von unseren Emotionen und von unserem wahren Ich ab, das unter anderem über eine starke Intuition und ein angeborenes Wissen verfügt. Das ist doch das Gegenteil von Liebe! Sich selbst zu lieben heißt ganz einfach, sich zu erlauben, wieder im Hier und Jetzt zu leben und die eigenen Emotionen, also Freude, Trauer und Wut, zu empfinden und auszuleben. Ist man im Hier und Jetzt, findet man auch seine wahren Kräfte und sein angeborenes Wissen wieder, Kreativität und Intuition, kurz, den Menschen, der man wirklich ist. Dieses Werkzeug ist leicht zu beschreiben, aber es ist sehr schwer, im Hier und Jetzt zu leben, denn unsere „Denke“ ist sehr mächtig und sehr präsent. Um sich selbst wiederzufinden, muss man also zwangsläufig versuchen, die „Denke“ auszuschalten, indem man die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und die eigenen Sinneswahrnehmungen richtet, um wieder in Kontakt mit sich selbst und den eigenen Emotionen zu treten. Dieses Vorgehen zeugt in jeder Hinsicht von Respekt und Liebe zu sich selbst und wird dazu führen, dass wir die Liebe zu uns selbst wiederfinden, um wahrhaft zu leben und nicht nur zu überleben.

Das Unterdrücken von Gefühlen führt zu Spannungen, die dramatische Folgen für unsere Gesundheit haben können. Welche Krankheitsbilder kommen dabei vor und wo muss eine medizinische Behandlung Ihrer Ansicht nach ansetzen?

Die Blockade unserer Emotionen erschafft eine körperliche Anspannung, deren Auswirkungen wir leicht spüren können (zum Beispiel ein Kloß im Magen oder Schulterverspannungen). Hält diese Anspannung an, führt das zu wohlbekannten Phänomenen, die auch von der medizinischen Wissenschaft genau beschrieben wurden und die durch die Ausschüttung von Hormonen in den Nebennieren in Gang gesetzt werden. Dazu gehören zum Beispiel ein beschleunigter Puls, ein erhöhter Blutdruck, eine Schwächung der Nierenfunktion und der körpereigenen Abwehr. Dann können Folgesymptome und Krankheiten entstehen. Die Schulmedizin, die ich keinesfalls anfechten will, interessiert sich nur dafür, die auftretende Krankheit (Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw.) zu behandeln. Das ist durchaus richtig, sollte aber nur eine Etappe sein, denn da die Ursache nicht gesucht wird, wird die Krankheit nach der Behandlung der Symptome erneut auftauchen. Und so werden viele Betroffene ihr Leben lang Medikamente nehmen und weiterhin gestresst, also angespannt sein. Warum nicht das ursprüngliche Problem herausfinden und versuchen, es zu lösen? Meist stoßen wir dann auf eine Blockade unserer Emotionen durch die Denke. Warum nicht den Betroffenen dazu ermutigen, seine Emotionen auszuleben, statt sie weiter zurückzuhalten? Zugegeben, dieser Ansatz braucht Zeit und Aufmerksamkeit, doch er ist auch sehr effizient und kostet weitaus weniger als der von Schulmedizinern eingeschlagene Weg.

Wie kann man es schaffen, die eigenen Gefühle zuzulassen und auszuleben, und welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

Es gibt nur eine einzige Voraussetzung: Man muss die Denke ausschalten, denn sie ist es, die uns auf allen Ebenen blockiert. Sie wird nicht nur versuchen, unsere Emotionen als etwas Logisches und Rationelles hinzustellen, was sie per definitionem nicht sind. Sie wird auch versuchen, uns davon zu überzeugen, dass diese Emotionen gar nicht wichtig genug sind, um sie zum Ausdruck zu bringen. Und sie wird alles daran setzen, dass wir die blockierte Emotion nicht körperlich empfinden, was sich in dem Gefühl äußert, einen Kloß im Hals oder einen Klumpen im Magen zu haben. Sie ist es auch, die es so einrichtet, dass wir uns gar nicht die Erlaubnis geben, etwas zum Ausdruck zu bringen. Sie führt dazu viele Ausreden ins Feld: „Die Leute werden mich sehen und hören. Das bringt doch nichts. Es ändert sich doch sowieso nichts.“  Nur das Ausschalten – und nicht das Beherrschen! – der Denke wird es uns ermöglichen, ins Hier und Jetzt zurückzukehren, um unsere Emotionen zu erkennen, zu empfinden und auszuleben.

Vielen Dank für dieses Interview!

Oliver Bartsch ist Online-Journalist, Multimediaentwickler, Fachjournalist mit Schwerpunkt Psychologie, Komplementärmedizin, alternative Wohn- und Arbeitsformen, regenerative Energien, Klimawandel, Religion, Spiritualität, Philosophie

http://oliverbartsch.wordpress.com/

Das Buch zum Thema:

Dr. med. Daniel Dufour: „Wut ist  gut! Wie unsere Emotionen und helfen und heilen können“
Mankau Verlag 2014
Broschur, 157 Seiten
Preis: 14,95 Euro
ISBN 978-3-86374-140-2

Hier versandkostenfrei bestellen!

Ähnliche Beiträge

1 Kommentar

Benjamin 7. Mai 2014 - 09:29

Interessantes Interview, ich werde mal einen Blick ins Buch werfen.

Kommentar schreiben