Seelische Reinigung im Knast – Dieter Gurkash

von Thomas

GurkaschTextDer Hass trieb ihn an, eine nahezu unstillbare Wut. Wohlbehütet aufgewachsen, warf Dieter Gurkash als Jugendlicher jede Droge ein, die er in die Finger bekam, dealte, raubte und stürzte sich in Gewalt. Dann ein Mord – und 25 Jahre Knast. Ein Yoga-Buch brachte den Wandel: In der alten indischen Weisheitslehre fand Dieter Gurkasch einen Weg, seine Wut zu überwinden und inneren Frieden zu finden. Hier ein Auszug aus seinem Buch „Leben Reloadet“, in dem er sein Erleben kurz nach einem Bewusstseinswandel erlebte.

Von Dieter Gurkash

Wenn ich fortan in den Spiegel schaute, sah ich mich. Da war nichts Aufgesetztes, das war ich. War mir dies zu Beginn, als ich mit Yoga angefangen hatte, noch nicht so klar, schlug die Entwicklung nach etwa zehn Monaten in einen ganz bewussten Prozess um.

Statt Bockwürstchen und Salami kaufte ich mir im Knastsupermarkt frisches Obst und Salat und wurde zum überzeugten Vegetarier. Ich zog sogar auf der Fensterbank meine eigenen Sprossen, verzichtete auf das Gefängnisessen und kochte mir stattdessen in der kleinen Pantry, die es auf jeder Station gab, mein eigenes Mittagessen. Und hatte ich früher nie meine Zelle sauber gemacht, so wischte ich auf einmal Staub und schrubbte den Boden. Letzteres zum einen natürlich auch deshalb, weil ich auf dem Fußboden meine Übungen machte und ich mich dabei nicht im Dreck wälzen wollte. Zum anderen aber nahm ich die Zelle und ihr Erscheinungsbild auch als Spiegel meines Herzens wahr. Anfang 2002 hörte ich dann sogar auf zu rauchen.

Es war echt krass, was sich in mir tat, und auch wie leicht und selbstverständlich mir einige Dinge, wie eben der Verzicht auf Zigaretten oder das Saubermachen meiner Zelle, fielen. Aber dieser spirituelle Reinigungsprozess hatte nicht nur seine positiven Seiten.

Generell ist ein spiritueller Reinigungsprozess nicht nur angenehm. Im Gegenteil: Er ist ganz zwangsläufig sehr, sehr schmerzhaft! Der Geist reinigt sich von Schlacken, was gleichbedeutend damit ist, dass man alle negativen Ansammlungen noch einmal durchleben muss – diesmal aber ohne von ihnen überwältigt zu werden und den von ihnen ausgehenden Impulsen nachzugeben. So durchlebte ich noch einmal all meine Straftaten, den Mord an Inge D., die Überfälle, die Schießerei – all das, bei denen mein Herz eigentlich gesagt hatte: »Nein, tu das besser nicht«, und ich es trotzdem getan hatte. Die positiven und beglückenden Erlebnisse, die man im Alltag, im Kontakt mit anderen erfährt, sind sozusagen der Ausgleich für den Schmerz und geben die nötige Kraft, um durch den Reinigungsprozess zu gehen.
……..

Ich arbeitete weiter in der Bücherei, las viel, machte jeden Tag meine Yogaübungen und begann, mich auch intensiv mit Tantra zu beschäftigen. Tantra ist ja nicht, wie die meisten meinen und auch ich früher glaubte, einfach Yoga mit Sex. Tantra erkennt an, dass Sexualität eine ungeheuer große Kraft beiwohnt, und diese Kraft nutzt Tantra, um daraus Spiritualität wachsen zu lassen. Beim Tantra werden die sexuellen Energien nicht über den Orgasmus ausgelebt, sondern werden sublimiert, strömen durch den Körper bis hinauf ins Gehirn und erzeugen dort spirituelle Erlebnisse. Ich las zu diesem Thema Bücher wie »Juwel im Lotus. Tantrischer Kriya Yoga« von Sunyata Saraswati und Bodhi Avinasha sowie »Der sechste Tibeter. Das Geheimnis erfüllter Sexualität« von Christian Salvesen.

Dies alles klang für mich zunächst unglaublich, doch ich erlebte es selbst. Ich begann, sexuelle Energien zu sublimieren, was meinen Stoffwechsel so sehr durcheinanderbrachte, dass ich wirklich essen konnte, was ich wollte, und trotzdem immer mehr an Gewicht verlor.

Aber es beeinträchtigte mich nicht. Ich war in einer totalen Ekstase. Ich las »Kundalini. Erweckung der geistigen Kraft im Menschen« von Gopi Krishna und »Das Kundalini-Handbuch. Eine umfassende praktische Anleitung zum Entdecken, Freisetzen und Meistern der Chakra-Energien« von Genevieve Lewis Paulson, in dem genauestens Techniken zur Auslösung und Lenkung der Kundalini-Energie beschrieben werden. Und neben dieser Lektüre und den verschiedenen Übungen war es auch in großem Maße mein starker innerer Wunsch danach, der dann im November 2003 zu der sogenannten Kundalini-Auslösung führte.

Nach der tantrischen Lehre steckt in jedem von uns Menschen eine besondere Kraft, die Kundalini genannt wird. Diese ruht laut Tantrismus am unteren Ende der Wirbelsäule, im Muladhara-Chakra. Als Chakren werden im Sanskrit die Energiezentren im menschlichen Körper bezeichnet. Bei der Kundalini-Auslösung nun steigt diese Kraft im Körper auf und durchläuft dabei die einzelnen Energiezentren. Und ich war bereit, mich diesem Prozess hinzugeben.

Hatte ich gerade in den Monaten zuvor zwar auch sehr viel Schönes und Positives erlebt, war da eben aber auch immer der Schmerz des Reinigungsprozesses gewesen. Er hatte die Kundalini-Auslösung erst möglich gemacht, und der Lohn dafür war nun eine unbeschreibliche Wonne. Es ging mir so was von gut – ich war pure Glückseligkeit. Was ich bislang lediglich aus der Literatur wusste, fühlte ich nun selbst: spirituelle Erweckungserlebnisse sind mit großer Ekstase verbunden, genauso wie mit äußerster Klarheit und großer Tiefenschärfe, und Sichtweisen erweitern sich so sehr, dass sich daraus zwangsläufig neue Verhaltensmuster ergeben.

Ich gewann eine wunderbare, große Kraft, diesen Weg der Veränderung mit beständiger Freude zu gehen – und das über alle äußeren und inneren Widerstände hinweg. Denn natürlich kamen auch immer wieder Blockaden zum Vorschein und große Schmerzen. Es war völlig paradox. Ich war mittlerweile runtergemagert auf unter 65 Kilo, war total ausgemergelt, hatte schwere Gelenkprobleme, tiefe, schwarze Ringe unter den Augen, sah aus wie der lebende Tod – und lief doch strahlend und grinsend durch das Gefängnis. Ich schlief nachts nie mehr als eine oder zwei Stunden, war hellwach, voller Energie und habe meditiert, meditiert und meditiert. Ich machte stundenlang meine Yogaübungen und habe immer wieder gelitten, extrem gelitten und viel geweint. Ganz bewusst versetzte ich mich ständig aufs Neue in meine Vergangenheit, beschäftigte mich mit allen negativen Bausteinen und Phasen meines Lebens.

Ich habe später einmal mit Carsten Unger, Diplom-Psychologe und Yogalehrer, darüber gesprochen, und der meinte: »Du kannst keine Wandlung durchmachen, ohne zu leiden. Das geht nicht. Jede Transformation ist auch ein Sterben des Alten. Ohne Schmerz ist das nicht zu haben. Nur wenn du dich dem Schmerz stellst, kannst du auch den Profit daraus ziehen.«

Und ich stellte mich dem Schmerz. Denn ich wusste, wenn ich ihn annehme, bin ich schon auf dem Weg, um ihn aufzulösen, ihm die Macht u?ber mich zu nehmen. Ich habe mich bekotzt, mich angeschissen, ins Bett gepisst. Ich wachte kurz vor einem Orgasmus auf, als sich alle meine Geschlechtspartner in Monster verwandelten. Ich habe Engel um mich herumstehen gesehen, genauso aber auch Dämonen, die in der Ecke meiner Zelle hockten und darauf lauerten, mich anzugreifen, und ich hatte so eine entsetzliche Angst, dass ich kaum hinschauen konnte. Dann aber sah ich doch irgendwann hin und sagte zu den Dämonen: »Okay, okay. Ihr seid da, ich bin da – kommt her, kommt einfach her, und wir gehen zusammen ins Licht.«

Daraufhin sind sie verschwunden, waren plötzlich weg. Es war sehr merkwürdig. Auf der einen Seite waren diese Erlebnisse absolut entsetzlich, auf der anderen Seite waren sie ein weiterer Schritt in Richtung Befreiung.

Das alles sind Erfahrungen, die man kaum glaubhaft vermitteln kann. Auch dass zum Beispiel bei den Hofgängen plötzlich die Krähen zu mir kamen, mir aus der Hand fraßen und sich von mir anfassen ließen. Kurdische Insassen sagten daraufhin, ich sei ein Heiliger. Die waren total beeindruckt. Ich habe wirklich von innen heraus geleuchtet. Menschen war es unmöglich, sich in meiner Nähe zu streiten. Ich meine, ich begegnete auch Todfeinden, mit denen ich zuvor jahrelang wegen irgendwelcher Drogengeschäfte im Clinch gelegen hatte. Die erhoben nicht die Stimme, die rempelten mich nicht an, die konnten sich mit mir nicht streiten, sondern suchten stattdessen die Versöhnung.

Ich selbst fand all das unheimlich und war froh, dass ich mich mit Fee (seiner Partnerin, Anm. d. Redaktion) darüber austauschen konnte, wir uns geistig gegenseitig getragen haben und diesen Prozess gemeinsam erlebten. Denn die Schmerzen waren kein Vergleich zu dem Glück, das ich empfand. Als Beispiel: Einmal konnte ich mich viele Tage lang nicht mehr richtig aufrichten, weil die Kundalini, eben die Kraft, im Manipura-Chakra stecken geblieben war und sie sich erst wieder durch Meditation und eine Reflexzonenmassage von Fee löste. Diese Blockade war mit wirklich großen Schmerzen verbunden, jeder Schritt, jede Bewegung tat mir weh, was mich aber nicht daran hinderte, glücklich zu sein und allen Menschen in meiner Umgebung Mut zuzusprechen. Etwas, was meine Mitinsassen gerne annahmen.

 

Ein Auszug mit freundlicher Genehmigung des Kailash Verlags aus:

GurkashCover

Dieter Gurkash
„Leben Reloaded. Wie ich durch Yoga im Knast die Freiheit entdeckte“

Kailash Verlag, 2013
256 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-424-63084-8

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1 Kommentar

Matthias Brückner 25. September 2013 - 07:30

Super Auszug, toll geschrieben und ich habe es gerne gelesen. Freu mich immer über so tolle Geschichten.

Gruß

Matthias

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