Halbwahrheit: “Du musst deine Lernaufgaben bewältigen” – Bodo Deletz

von Thomas

Der Erfolgsautor Bodo Deletz stellt in seinem Buch “5 Halbwahrheiten” typische Glaubenssätze der spirituellen Szene vor. Ein weiterer davon ist jener über die eingebildete Notwendigkeit, bestimmte individuelle Lernaufgaben abarbeiten zu müssen. Warum es ihm zwecklos erscheint, nach Problemen zu suchen nur um diese anschließend zu lösen, beschreibt er in diesem Buchauszug.

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von Bodo Deletz

 

Wie funktioniert die Welt? Was ist der Sinn unseres Lebens? Das sind die beiden Fragen, die jeder Weltanschauung zugrunde liegen. Den Zweck unseres Daseins zu erfüllen ist per Definition das höchste Ziel jeder Weltanschauung. Mit anderen Worten: Es ist per Definition das Wichtigste in unserem gesamten Leben! Deshalb ist es klar, dass unsere Weltanschauung einen ganz maßgeblichen Einfluss auf unser Glück, unsere Gesundheit und unseren Erfolg ausübt. Denn wir leben nach unserem persönlichen Sinn des Lebens – ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht.

Die meisten Menschen stehen mittlerweile jedoch dem Sinn des Lebens, den uns die großen Weltreligionen aufzeigen wollen, eher kritisch gegenüber. Sie haben angefangen, sich ihre eigenen Gedanken über das Leben und seinen Sinn zu machen. Viele sind sich dabei
ihrer eigenen Weltanschauung jedoch gar nicht so richtig bewusst, da sie das nicht für so maßgeblich halten und nur ab und an eher nebenbei darüber nachdenken. Nichtsdestotrotz bildet ihr eigener angenommener Sinn im Leben unbewusst das oberste Entscheidungskriterium bei allen kleinen und großen Entscheidungen, die sie in ihrem Leben treffen.

Unsere Überzeugungen haben einen sehr gravierenden Einfluss auf alle Entscheidungen, die wir treffen. Und das sind mächtig viele! Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman konnte nachweisen, dass unser Gehirn täglich ca. 40 Millionen Entscheidungen trifft. Das meiste davon sind natürlich kleinste Detail-Entscheidungen. Nur zehn bis zwölf dieser 40 Millionen täglichen Entscheidungen treffen wir bewusst, der Rest läuft komplett auf der unbewussten Ebene.

Bei all diesen Entscheidungen – ob es nun bewusste oder unbewusste sind – berücksichtigen wir mit hoher Priorität unseren persönlichen Sinn, den wir bewusst oder unbewusst im Leben sehen. Ich schlage vor, dass wir uns einmal gemeinsam ein Beispiel für die Einflussnahme des angenommenen Lebenssinns auf die eigenen Entscheidungen anschauen.

Viele spirituelle Menschen glauben zum Beispiel, dass wir hier auf der Welt sind, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Das Leben stelle uns hierzu Lernaufgaben zur Verfügung, an denen wir dann wachsen sollen. Um zu verstehen, wie dieser Glaube sich tendenziell auf das eigene Leben auswirken kann, schlage ich vor, dass wir uns einmal einen Menschen vorstellen, der hier wirklich Nägel mit Köpfen machen will. Stellen wir uns also einmal vor, unser Mensch würde die Erfüllung dieses Lebenssinns wirklich als höchsten Wert in seinem Leben ansehen und alles andere der Erfüllung dieses Sinns unterordnen. Es geht ja schließlich um den Sinn des Lebens. Und das ist wie gesagt per Definition das wichtigste und höchste Ziel im Leben!

Um zu verstehen, wie sich der Glaube, Lernaufgaben erfüllen zu müssen, im Alltag tendenziell auswirken kann, ist es am besten, wenn wir uns einmal vorstellen, wie das Leben eines Menschen aussieht, der diesen Sinn des Lebens wirklich sehr, sehr ernst nimmt. Nennen wir diesen Menschen deshalb einfach einmal Ernst.

Ernst nimmt also seinen Lebenssinn tod-ernst! Er glaubt felsenfest daran, dass er hier ist, um sich weiterzuentwickeln. Das ist der Sinn und Zweck seines Daseins! Und deshalb muss er auch die Lernauf­gaben bewältigen. Alles andere ist ihm egal. Es gibt sicherlich nur sehr wenige Menschen, die ihre Spiritualität so ernst nehmen, aber die Auswirkungen diese Weltanschauung auf das eigene Leben sind prinzipiell trotzdem die gleichen. Sie sind nur ein wenig abgeschwächt, wenn man nicht so stark daran glaubt.

Was meinst du? Welchen Job hat Ernst gewählt, der ja hier auf der Welt ist, um Lernaufgaben zu bewältigen? Geht er den Weg des geringsten Widerstandes, oder hat er einen Job, der ihn echt fordert und vielleicht sogar manchmal an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringt?

Logisch, oder?! Er will sich ja weiterentwickeln, und dazu braucht er Lernaufgaben! Ein Job, der ihn nicht fordert, ist nichts für ihn. Damit hätte er das Gefühl, sein Leben zu verschwenden, denn er ist nicht hier, um Spaß zu haben. Er ist hier, um sich weiterzuentwickeln und seine Lernaufgaben zu bewältigen. Spaß leistet er sich mal zwischendurch als Belohnung, aber eine so bedeutende Entscheidung wie die seiner Berufswahl trifft er dann doch lieber sinnvoll!

Was meinst du? Wie gesund ist Ernst grundsätzlich? Menschen, die daran glauben, dass das Leben ihnen Lernaufgaben präsentiert, gehen auch davon aus, dass ihr Körper das ebenfalls tut. Alles auf dieser Welt ist so beschaffen, dass wir uns daran weiterentwickeln sollen – glaubt Ernst! Und so kommt er wie die meisten anderen Menschen, die diesem Glauben ans Weiterentwickelnmüssen anhängen, schnell auf die Idee, dass auch die Krankheiten des eigenen Körpers Lernaufgaben darstellen. Sie verschwinden also erst wieder, wenn man seine Lektion gelernt hat. Die Folge ist, dass man seine Aufmerksamkeit sofort auf die ersten Anzeichen einer Krankheit lenkt und sich stark darauf fokussiert.

Wie stark sich diese Fokussierung auf die Gesundheit auswirken kann, wurde in unzähligen Placebo-Studien wissenschaftlich belegt. Anfang 2011 veröffentlichte der Wissenschaftsbeirat der Bundesärztekammer neue, unglaubliche Forschungsergebnisse. Dort heißt es:

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Forschung ist, dass Placebo- und Verumeffekt hirnphysiologisch und -anatomisch lokalisierbar sind. Der Placeboeffekt ist damit nicht auf ein bloßes Epiphänomen reduzierbar. Da der Placeboeffekt nachgewiesenermaßen eine somatische bzw. (neuro-)biologische Basis hat, rückt somit die Frage seiner therapeutischen Relevanz mehr und mehr in den Mittelpunkt. Zahlreiche Meta­analysen zeigen, dass der Placeboeffekt für viele klinische Bilder therapeutisch relevant ist, für den einzelnen Patienten vorhersagbar ist er aber (noch) nicht. Es existiert bislang kein umfassendes Modell, das den Placeboeffekt hinreichend erklärt. (Bundesärztekammer; Placebo in der Medizin, 2011, S. 60-61)

Auf Deutsch bedeutet dies Folgendes: Wenn ein Mensch (unwissentlich) ein Placebo – also ein chemisch unwirksames Schein-Medi­ka­ment – bekommt, sagen wir einmal eine Spritze, dann registriert sein Körper erst einmal, dass in dieser Spritze gar kein Wirkstoff enthalten ist. Wenn dieser Mensch jedoch glaubt, ein wirksames Medikament erhalten zu haben, dann tut sein Körper aufgrund der positiven Erwartungshaltung etwas absolut Unglaubliches: Das Gehirn schüttet Botenstoffe aus, die im Körper dafür sorgen, dass die fehlenden Wirkstoffe einfach selbst hergestellt werden!

Der Körper stellt jedoch nicht unbedingt die gleichen Stoffe her, die angeblich im Medikament enthalten waren. Das Gehirn veranlasst sehr häufig die Produktion völlig anderer Stoffe, die jedoch gleichermaßen die erwartete Medikamentenwirkung herbeiführen. Die Wirkung der selbst hergestellten Stoffe kann der des (tatsächlichen) Medikamentes sogar überlegen sein!

Der Placebo-Effekt ist daher laut Bundesärztekammer nicht auf eine Begleiterscheinung (Epiphänomen) reduzierbar, sondern hat eine eigene neurobiologische Basis. Erklären kann man die Existenz des Placebo-Effektes mit den derzeitigen wissenschaftlichen Weltanschauungen jedoch nicht. Auch kann er (noch) nicht bei allen Patienten zuverlässig ausgelöst werden, da bislang noch nicht alle Faktoren dazu vollständig erforscht sind.

Die Macht, die unsere Erwartungshaltung auf unser Gehirn und damit auf Körper, Seele und Geist ausüben kann, ist schier unglaublich, und die Grenzen dieser Macht sind noch längst nicht ausgelotet. Die Forschungsergebnisse, die dazu bislang veröffentlicht wurden (im Internet teilweise auch als Filmbeiträge), sind überaus beeindruckend. Placebos helfen nach Aussage der Bundesärztekammer bei fast allen Arten von körperlichen und seelischen Schmerzen, Allergien, Asthma, Autoimmunkrankheiten, Reizdarmsyndrom, Bluthochdruck, Parkinson usw. Gleichzeitig helfen sie auch bei sehr vielen geistigen Erkrankungen wie Depressionen, Burnout, Ängsten, Neurosen etc.

Die Effektivität eines Placebos scheint dabei sehr stark davon abhängig zu sein, wie sehr sich die Erwartungshaltung des Patienten auf den Glauben an die Wirksamkeit seiner Behandlung stützt. Dieser Wirkfaktor ist bei Placebo-Studien jedoch stark eingeschränkt, denn aus rechtlichen Gründen muss jeder Proband einer Studie darüber informiert sein, dass er an einer Studie teilnimmt. Der Patient muss also davon ausgehen, dass er eventuell in der Placebo-Gruppe ist und gar kein echtes Medikament bekommt. Aus diesem Grund hält sich die positive Erwartungshaltung der meisten Probanden bei Studien stark in Grenzen.

Es gibt jedoch auch unzählige von Ärzten dokumentierte Fallbeispiele zum Placebo-Effekt, bei denen die Patienten keine Ahnung davon hatten, dass sie nur ein Placebo bekommen hatten. Die Erwartungshaltung dieser Patienten war deshalb sehr viel höher als bei den Probanden von offiziellen Studien. Deshalb gehen auch die dokumentierten Phänomene weit über die Placebo-Phänomene von Medikamenten-Studien hinaus. Eines der erstaunlichsten Beispiele wurde 1957 von Dr. Bruno Klopfer im Journal of Projective Techniques veröffentlicht.

Klopfer berichtete von einem Patienten (genannt Mr. Wright) mit sehr weit fortgeschrittenem Lymphknotenkrebs. In seinem gesamten Körper hatten sich große Tumore entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt wurde gerade eine Studie mit dem Wirkstoff Krebiozen durchgeführt, der von den Medien als Wunderwaffe gegen den Krebs angepriesen wurde. Mr. Wright las davon und drängte darauf, unbedingt in diese Studie aufgenommen zu werden. Obwohl das Stadium seiner Erkrankung für diese Studie viel zu weit fortgeschritten war, machten die Ärzte aus Mitgefühl eine Ausnahme – ohne jedoch tatsächlich ein Resultat zu erwarten. Was dann jedoch geschah, erschien den Ärzten wie ein Wunder: Mr. Wright nahm zu, sah besser aus, fühlte sich besser, und seine Tumore schrumpften in kürzester Zeit so stark, dass sie kaum noch ertastet werden konnten. Sein Zustand verbesserte sich fortwährend – bis die Zeitungen nach ein paar Monaten davon berichteten, dass Krebiozen die in diesen Wirkstoff gesetzten Erwartungen leider doch nicht erfüllt hätte. Nachdem Wright diese Berichte gelesen hatte, verlor er sofort wieder an Gewicht, und seine Tumore wuchsen wieder.

Im Bewusstsein, dass es sich bei der Genesung von Mr. Wright um einen Placebo-Effekt gehandelt haben musste, erzählten die Ärzte ihm, die erste Lieferung Krebiozen, die das Krankenhaus erhalten habe, sei tatsächlich nicht so wirksam gewesen. Das Labor habe inzwischen jedoch den Fehler behoben, sodass das Mittel jetzt seine volle Wirkung entfalten würde.

Daraufhin erhielt Mr. Wright erneut Infusionen, jedoch diesmal nicht Krebiozen, sondern lediglich sterilisiertes Wasser. Tatsächlich verbesserte sich sein Zustand erneut auf die gleiche dramatische Weise wie zuvor durch Krebiozen. Es ging ihm so lange besser, bis einige Monate später regionale Zeitungen davon berichteten, dass der American Medical Association zufolge Krebiozen gegen Krebs völlig unwirksam sei. Als Mr. Wright davon erfuhr, wuchsen seine Tumore sofort wieder, und er starb nach wenigen Wochen.

Zu diesem Fallbeispiel gibt es einige übertriebene Darstellungen im Internet, die vermutlich im Laufe der Jahre immer mehr „aufgepeppt“ wurden. Die vorliegende Darstellung stammt hingegen von Dr. Howard Brody; Arzt und Professor für medizinische Ethik an der Michigan State University. (Howard und Daralyn Brody; Der Placebo-Effekt, 2002, S. 16-17) Ein Universitätsprofessor würde seine berufliche Reputation aufs Spiel setzen, wenn er unwahre oder „aufgepeppte“ Begebenheiten veröffentlichen würde, sodass ich seine Darstellung als vertrauenswürdig einstufe.

Menschen, die daran glauben, dass das Leben ihnen Lernaufgaben präsentiert, sehen oft auch ihre Krankheiten als sehr wichtige Lernaufgaben an. Und da diese Lernaufgaben so immens wichtig sind, hören diese Menschen in Bezug auf irgendwelche Krankheitssymptome förmlich die Flöhe husten! Sie fokussieren sich beim ersten Anzeichen einer möglichen Erkrankung (Lernaufgabe) sofort auf die Symptome, denn sie wollen auf keinen Fall eine wichtige Lernaufgabe übersehen, da sie sind in der Regel davon überzeugt sind, dass sie dann noch viel schlimmer krank würden. Doch dabei übersehen sie etwas ganz Wesentliches! Neben dem Placebo-Effekt, der sich ja positiv auf die eigene Gesundheit auswirkt, gibt es nämlich auch den
sogenannten Nocebo-Effekt, bei dem sich die Gesundheit aufgrund
eines Glaubens verschlechtert. Und dieser Effekt ist leider sogar in der Regel noch stärker als der Placebo-Effekt!

Ebenso wie beim Placebo-Effekt veranlasst unser Gehirn auch beim Nocebo-Effekt über die Ausschüttung von Botenstoffen die Produk­tion körpereigener Wirkstoffe, welche die von uns erwarteten körperlichen, seelischen oder geistigen Probleme auslösen. Wie weitreichend die Folgen unserer Erwartungshaltung dabei sein können, beschreibt das Fallbeispiel von Mrs. S., das von dem Kardiologen Dr. Bernard Lown (Erfinder der Defibrillation, Friedensnobelpreis 1985) dokumentiert wurde. (Quelle: Howard und Daralyn Brody; Der Placebo-Effekt, 2002, S. 20-22)

Mrs. S. litt an einer nicht lebensbedrohlichen Herzklappenerkrankung namens Trikuspide Stenose und an einer leichten Herzinsuffizienz (Herzmuskelschwäche), die erfolgreich mit Medikamenten kontrolliert wurde. Mrs. S. ließ gerade im Krankenhaus turnusmäßig eine Routine-Untersuchung durchführen. Ihr Zustand war wie üblich stabil. Bei der Visite kam der Oberarzt mit einer Schwadron von
Assistenzärzten ins Krankenzimmer, wie es damals üblich war. Da es gegenüber den Assistenzärzten nicht viel Bemerkenswertes zu berichten gab, fasste der Oberarzt den Fall von Mrs. S. folgendermaßen zusammen: „Diese Frau hat TS!“ Das war unter Kardiologen eine gängige Abkürzung für Trikuspide Stenose. Danach verließen die Ärzte das Krankenzimmer, ohne Mrs. S. weiter zu beachten.

Kurz darauf kam der damalige Assistenzarzt Dr. Lown zu Mrs. S. zurück und war sehr überrascht, dass diese völlig panisch war. Als er sie fragte, was los sei, antwortete sie, der Oberarzt habe gesagt, dass sie mit Sicherheit sterben werde. Er habe gesagt, sie habe TS, und sie wisse ganz genau, dass dies „terminale (zum Tode führende) Situa­tion“ bedeute.

Dr. Lown versuchte ihr klarzumachen, dass TS nicht „terminale Situation“, sondern „Trikuspide Stenose“ bedeutete, was Mrs. S. jedoch nicht annehmen wollte. Sie wisse ganz genau, was wirklich los sei, murmelte sie immer wieder wie in Trance. Sie war absolut überzeugt, Dr. Lown würde nur versuchen, sie vor der schrecklichen Wahrheit zu bewahren.

Obwohl es keinerlei Anzeichen dafür gab, dass sich ihr eigentlich unbedrohliches Herzleiden signifikant verschlechtert hätte, verstarb Mrs. S. noch am selben Tag, ohne dass die Ärzte etwas dagegen tun konnten.

Ähnlich beeindruckend ist der Fallbericht von Derek Adams, der bei einem Suizidversuch einen kompletten Monatsvorrat eines Medikamentes einnahm, an das er durch die Teilnahme an einer Medikamentenstudie gelangt war. Er wurde mit einer akuten Medikamentenvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. Sein Zustand war kritisch. Und obwohl es sich bei dem Medikament nur um Placebo-Tabletten handelte, drohte er zu sterben. Erst nachdem er von der wahren Natur der Tabletten erfuhr, normalisierten sich seine Werte wieder. (Roy R. Reeves, General Hospital Psychiatry 2007129:275-277, nach MMW-Fortschr. Med. Nr. 7 / 2010 (152. Jg.) v. 18. Februar 2010, S. 13)

Ein weiteres Beispiel für sehr extreme Nocebo-Effekte sind Todesurteile, die von Voodoo-Priestern verhängt werden und die nachweislich tatsächlich zum Tod führen können. Auch hier vermuten Wissenschaftler, dass die Verurteilten allein durch ihre Erwartungshaltung sterben, da dieser Effekt nur bei Menschen vorkommt, die an die Macht von Voodoo glauben. (S. I. Cohen; Psychosomatic Death: Voodoo Death in a Modern Perspective. In: Integrative Psychiatry 3, 1985, S. 46–51)

Anmerkung: Da es in diesem Buch nicht um Wahrheit oder wissenschaftliche Korrektheit geht, werde ich im weiteren Verlauf weitgehend auf Quellenangaben verzichten, um den Textfluss nicht zu stören. Wenn ich in diesem Buch etwas als „Es ist so“ darstelle, bedeutet das, dass meine eigene, jahrzehntelange Erfahrung die Anwendbarkeit dieser Erkenntnis bestätigt.

Die Macht, die unsere auf Überzeugung gestützte Erwartungshaltung auf Körper, Geist und Seele ausüben kann, ist offensichtlich mehr als gewaltig. Das Auslösen eines starken Nocebo-Effektes über eine negative Erwartungshaltung vollzieht sich dabei leider sehr viel häufiger und dramatischer als das Auslösen eines positiven Placebo-Effektes, da wir aus Sicherheitsgründen dazu neigen, vom Negativen auszugehen.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Krankheitssymptome fokussieren, dann verstärkt dies deutlich messbar die Symptome. Aber das ist noch längst nicht alles! Der Glaube von Ernst an seine gesundheitlichen Lernaufgaben könnte durchaus den normalen Heilungsprozess verzögen oder sogar verhindern, wenn er nicht seine Lernaufgabe bewältigt, die nach seinem Glauben dieser Krankheit zugrunde liegt. Sein Glaube würde so lange einen Nocebo-Effekt auslösen, bis er seine Lernaufgabe erkannt und bewältigt hätte, denn er wäre überzeugt davon, dass seine Krankheit nur dann verschwinden kann.

Auf der anderen Seite möchte ich anmerken, dass gelegentlich auch das Gegenteil der Fall sein kann. Wenn Ernst sich auch nur einbilden würde, seine Lernaufgabe bewältigt zu haben, obwohl sie rein gar nichts mit der tatsächlichen Ursache seiner Erkrankung zu tun haben muss, würde er einen positiven Placebo-Effekt auslösen, der ihn gesund machen könnte.

In der Praxis ist das Verhältnis zwischen günstigen Placebo- und nachteiligen Nocebo-Effekten bei dieser Weltanschauung leider nicht sehr ausgewogen. Die schädlichen Nocebo-Effekte überwiegen bei Weitem! Ernst würde sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit keiner allzu guten Gesundheit erfreuen. Zumindest könnte seine Gesundheit mit einer anderen Weltanschauung deutlich besser sein.

Weiterhin würde Ernst aufgrund der Belastung, die viele seiner Lern­aufgaben in seinem Beruf und in seinem Privatleben mit sich bringen, sehr viel mehr Stress erfahren als Menschen, die nicht an die Existenz von Lernaufgaben glauben. Auch dieser Stress würde vermutlich seiner Gesundheit nicht sehr zuträglich sein. Ernst hätte einfach sehr viele Probleme im Leben zu bewältigen, denn er würde ständig nach eventuellen Lernaufgaben und damit Problemen suchen. Er würde aufgrund seiner Weltanschauung die Probleme anziehen wie das Licht die Motten – und das nicht nur in Bezug auf Beruf und Gesundheit!

Was meinst du – wie glücklich wäre beispielsweise die Partnerbeziehung von Ernst? Was für eine Partnerin hätte er sich wohl ausgesucht? Eine, die reibungslos zu ihm passt und mit der er einfach ganz mühelos glücklich sein kann? Oder eine, bei der er sich weiterent­wickeln kann?!

Wenn Ernst seinen Lebenssinn wirklich ernst nimmt, wovon wir ja in unserem Gedankenexperiment ausgehen, dann hätte er eine echte Herausforderung an seiner Seite! Möglicherweise hätte er sich eine Frau gesucht, die sich ebenfalls spirituell weiterentwickeln will und an die Existenz von Lernaufgaben glaubt. Oder er hätte sogar die Herausforderung angenommen, dass seine Frau eine völlig andere Weltanschauung vertritt und es dadurch ständig Diskrepanzen zwischen den beiden geben muss. Auf diese Weise könnte Ernst sich wirklich ganz hervorragend an diesen Lernaufgaben weiterentwickeln! Doch wie glücklich wären Ernst und seine Frau tatsächlich in dieser Beziehung?!

Doch um Glück geht es ihm ja in Wirklichkeit auch gar nicht. Er hat sich keine Frau zum Glücklichsein gesucht. Gemäß seinem Glauben ist es ja viel wichtiger, eine Frau zu finden, mit der er aufgrund der vielen Lernaufgaben wachsen kann.

Und welche Art Freunde hätte Ernst wohl? Nur nette Menschen, mit denen es einfach nur schön ist, oder hätte er sich auch hier Lernaufgaben gesucht, an denen er wachsen kann? Wenn er seine Lebensaufgabe ernst nimmt, dann ist natürlich Letzteres der Fall.

Ich denke, es ist klar, dass wir uns noch tausend andere Bereiche aus dem Leben von Ernst anschauen könnten – es würde sich überall das gleiche stressige Bild zeigen.

Wie gesagt, die meisten Menschen leben ihren Glauben nicht so konsequent, wie wir das dem lieben Ernst angedichtet haben. Aber viele leben diesen Glauben in Teilbereichen ihres Lebens stark genug, damit sich die gleichen Probleme tendenziell bemerkbar machen. Und überall dort, wo es kriselt, suchen sie dann nach den Ursachen dieser Probleme. Doch mit dem Glauben an die Lernaufgaben findet man die tatsächlichen Ursachen dann leider gar nicht! Man glaubt ja, dass diese Ursachen immer nur in Lernaufgaben zu finden seien, daher sucht man natürlich auch nur nach Lernaufgaben. Man hat also Scheuklappen auf und kann nur in eine Richtung schauen. Für alle anderen Problemursachen ist man daher blind.

Das größte Problem bei dieser Weltanschauung besteht jedoch darin, dass viele Menschen deshalb auf die Idee kommen, nach Problemmustern in ihrer Vergangenheit zu suchen. Sie wollen sich ja weiterentwickeln, und die Korrektur alter Problemmuster ist dabei natürlich ein sehr wichtiger Eckpfeiler, denn das waren ja alles Lernaufgaben, die man immer noch nicht erfolgreich gemeistert hat. Aufgrund der Tatsache, dass es in der Praxis tatsächlich sehr wohltuend sein kann, solche alten Problemmuster in Ordnung zu bringen, kommen viele Menschen jedoch auf eine fatale Idee – nämlich die, jetzt einmal gründlich mit der Vergangenheit aufzuräumen und dabei alle alten Problemmuster aufarbeiten zu wollen. Um zu erklären, warum dies eine fatale Idee ist, muss ich ein wenig ausholen.

In meiner NLP-Ausbildung vor 30 Jahren erklärte man mir, dass 90 Prozent aller Problemmuster, die wir in unserem Gehirn abgespeichert haben, in unserem Leben normalerweise nie wieder aktiviert werden. Wir sind heute keine Kinder mehr, und dennoch sind in unserem Gehirn alle Muster abgespeichert, die wir noch als Kinder und Jugendliche hatten. Doch damals waren unsere Lebensumstände noch völlig andere. Wir durften noch nicht tun, was wir heute dürfen. Wir mussten noch Dinge tun, die wir heute nicht mehr müssen. Wir verfügen heute über Fähigkeiten und Kompetenzen, die wir damals noch nicht hatten. Wir sind heute einfach ganz andere Menschen als damals und leben auch in ganz anderen Umständen. Und dennoch sind ganz viele der Probleme, die wir damals als Muster in unserem Gehirn hatten, immer noch unverändert. Doch diese Muster muss man gar nicht verändern, da sie aufgrund unserer veränderten Lebensumstände und unserer veränderten Persönlichkeit in unserem Alltag nie wieder aktiviert werden. Das gilt wie gesagt für sage und schreibe 90 Prozent aller Problemmuster!

Viele Menschen glauben, dass man diese 90 Prozent trotzdem aufarbeiten muss, weil sie sich sonst im eigenen Körper als Krankheiten manifestieren. Wissenschaftler konnten jedoch in den letzten Jahrzehnten aufzeigen, dass dieser Glaube völlig unzutreffend ist. Auch wurde der Denkfehler offensichtlich, auf dem dieser Irrglaube aufbaut. Ich werde im Kapitel über Halbwahrheit Nr. 12 ausführlich auf diesen Denkfehler eingehen. In der Praxis ist es tatsächlich so, dass Menschen, die diesem Irrglauben anhängen, eindeutig kränker sind als Menschen, die sich um ihre alten Problemmuster aus der Vergangenheit gar nicht kümmern. Wir werden im weiteren Verlauf dieses Buches noch einmal ausführlich auf dieses Phänomen zu sprechen kommen.

Die meisten Menschen wissen nicht, dass 90 Prozent ihrer alten Muster nie wieder aktiviert werden und sich auch sonst nicht mehr in ihrem Leben manifestieren – weder in Form von Krankheiten noch in Form anderer weltlicher Probleme. Und wenn man das nicht weiß, gleichzeitig aber daran glaubt, man müsse seine Lernaufgaben erfüllen, dann kommt man natürlich schnell auf die fatale Idee, alle Pro­blemmuster der Vergangenheit aufarbeiten zu wollen.

Da der Glaube an die Lernaufgaben sehr weit verbreitet ist, gibt es natürlich auch viele spirituelle Bücher, welche die Notwendigkeit dieser Aufräumaktion mit Nachdruck postulieren. Viele dieser Autoren glauben, man könne nur dann wirklich glücklich, gesund und erfolgreich werden, wenn man zu 100 Prozent alle seine Problemmuster in Ordnung gebracht hat. Wenn man dieses Postulat annimmt, dann erlebt man ein sehr beeindruckendes Phänomen: Innerhalb weniger Wochen und Monate hat man nämlich plötzlich zehn Mal so viele Probleme an der Backe wie jemals zuvor in seinem Leben! Ich spreche hier aus Erfahrung, denn in dieses Fettnäpfchen habe ich vor 30 Jahren einen mächtigen Arschplatscher gemacht!

Seitdem kläre ich meine Seminarteilnehmer stets über dieses Fettnäpfchen auf. Vielen von ihnen war es irgendwann selbst aufgefallen, dass da irgendetwas in ihrem Leben nicht stimmen konnte, denn auch ihre Probleme hatten sich innerhalb kürzester Zeit verzehnfacht. Doch auch dafür haben viele spirituelle Menschen eine scheinbar logische Erklärung, die ich vor 30 Jahren ebenfalls zu hören bekam: Ich traf damals auf jemanden, der mir klarmachte, ich sei jetzt kein normaler, schlafender Mensch mehr, ich sei jetzt aufgewacht, und das sei etwas sehr, sehr Gutes! Das Universum präsentiere mir jetzt nur deshalb so viele Probleme, weil es mir helfen wolle, mich weiterzuentwickeln. Denn in dem Moment, wo man dazu bereit sei, seine Probleme aufzuarbeiten, gebe einem das Universum sofort alle erdenkliche Hilfe dazu. Die vielen Probleme, die sich in meinem Lebensalltag plötzlich manifestiert hatten, seien also in Wirklichkeit nur Hilfen, die ich dankbar annehmen solle!

Das war ehrlich gesagt esoterischer Unfug, wie sich leider erst sehr viel später herausstellte! Ich war nicht „aufgewacht“, und das Universum wollte mir auch nicht „helfen“ – ich hatte mich lediglich auf die Suche nach alten Problemmustern in meinem Gehirn gemacht, die ich damit unbewusst automatisch aktivierte, sodass sie in meinem Leben in Erscheinung traten. Der Spuk hörte sofort wieder auf, als ich das begriff, was jedoch wie gesagt leider erst viele Jahre später geschah. Diese völlig überflüssige, schwierige Zeit möchte ich dir mit diesem Buch ersparen.

Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen: Das Lösen deiner Probleme ist völlig in Ordnung, richtig und gut! Nur solltest du dir nicht angewöhnen, nach Problemen zu suchen! Die tatsächlich relevanten zehn Prozent unserer Problemmuster melden sich in unserem Alltag nämlich ganz von allein! Die müssen wir nicht suchen gehen. Und wenn sich diese Probleme melden, dann können wir sie immer noch lösen. Wir müssen also Probleme nicht suchen, denn sie kommen ganz von allein!

Falls du ebenfalls in dieses Fettnäpfchen getappt bist, dann gibt es eine ganz einfache Maßnahme, mit der du dich hier und jetzt von 90 Prozent aller deiner Probleme wieder verabschieden kannst. Dafür genügt es nämlich bereits, wenn du jetzt an deiner bisherigen Weltanschauung und dem darin enthaltenen Lebenssinn zweifelst.

Das ist tatsächlich schon alles! Es genügt, wenn du zweifelst. Denn wäre es tatsächlich wahr, dass wir alle hier sind, um uns anhand von Lernaufgaben weiterzuentwickeln, dann dürfte der Zweifel an dieser vermeintlichen Wahrheit nichts an deiner alltäglichen Lebenserfahrung ändern. Das Leben müsste dir trotz deines Zweifels weiterhin die vielen Lernaufgaben präsentieren. Doch genau das passiert in der Praxis eben nicht. Durch den Zweifel wird plötzlich alles anders – und zwar besser! Und das dürfte wie gesagt nicht passieren, wenn die Existenz von Lernaufgaben der tatsächlichen Wahrheit entspräche.

Natürlich haben wir bisher erlebt, dass das Leben uns scheinbar Lernaufgaben präsentierte, aber die entstammten eben nicht einem ominösen kosmischen Gesetz, sondern einfach nur der eigenen, individuellen Realitätswahrnehmung, weil man eben daran geglaubt hat. Dadurch hat es dann für uns so ausgesehen, als gäbe es diese Lernaufgaben tatsächlich. In dem Moment, in dem wir ernsthaft daran zweifeln, ändert sich alles. Ich habe in den letzten 30 Jahren tausendfach miterlebt, dass sich die meisten schweren „Lernaufgaben“ ganz mühelos aus dem Leben anderer Menschen verabschiedeten, nachdem sie angefangen hatten, an ihrer Weltanschauung zu zweifeln. Ihre Partnerbeziehung verbesserte sich, ihr Gesundheitszustand ebenfalls, sie fühlen sich erheblich glücklicher, der berufliche Stress nahm ab, es lief schöner und harmonischer in Freundschaften usw.

Das Thema Lernaufgaben ist natürlich nur ein Beispiel von vielen, an dem man erkennen kann, welchen gigantischen Einfluss solche esoterischen Halbwahrheiten auf unser Leben ausüben. Es gibt unzählige weitere Möglichkeiten, worin man den Sinn des Lebens sehen kann. Manche haben nachteilige Wirkungen auf unser Lebensglück, unseren Erfolg und unsere Gesundheit, manche haben positive Wirkungen.

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Textauszug aus dem Buch:

 

Bodo Deletz: “50 Halbweisheiten, die dir das Leben schwer machen können”

Verlag: Ella Kensington Verlag

Umfang: 432 Seiten

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