.Das Tarot (auch Tarock genannt) ist ein Satz von 78 Karten. Die 22 Karten einer Bilderreihe werden Große Arkana („große Geheimnisse“) genannt. Die weiteren 56 Karten der so genannten Kleinen Arkana wurden später zu den heute üblichen Spielkarten (für Poker, Bridge usw.).
Wir wissen nicht, wer die Spielkarten erfand oder in Italien einführte. Als Gutenberg um 1445 die Druckerpresse erfand, war jedoch die Möglichkeit geschaffen, Informationen, die zuvor durch den Filter der Kirche gegangen waren, jetzt frei und vielfältig zu veröffentlichen. Da bis dahin nur wenige Menschen lesen konnten, wurden Informationen in Bilder gelegt, und da Menschen gern spielen, konnten sich nun die Bilder durch Spielkarten tausendfach vervielfältigt über ganz Europa ausbreiten. Aber auch die Nutzung der Karten als Wahrsagesystem trug zu ihrer Verbreitung bei.
Man nimmt an, dass die ersten tarocchi für die Familie Visconti-Sforza entworfen wurden. Woher der Begriff, der im Französischen zu Tarot und im Deutschen zu Tarock wurde, stammt und was er ursprünglich bedeutete, ist unklar. Manche Autoren führen die Karten auf trionfi, Triumph (woraus sich der Trumpf im Kartenspiel ableitet) zurück, andere bringen ihn auf die hebr. Thora (das Alte Testament) zurück, was die spätere Verbindung zur → Kabbala herstellt. Einige der Bilder der Visconti-Sforza-Karten sind auch im 50-Bilder-Set von Andrea Mantegna zu finden, das man auf 1470 datiert.
Die Kleinen Arkana der 56 Spielkarten bestehen aus den so genannten Hofkarten (König, Dame, Ritter, Knappe) und den vier Mal zehn Zahlenwerten (jeweils von eins bis zehn). Die Zehnerreihe geht mit großer Sicherheit auf die pythagoreische Tetraktys (die Anordnung der Zahlen 1, 2, 3, 4 in einem Dreieck, die Eins an der Spitze), (→ Pythagoras) zurück, die in der Renaissance populär wurde. Die Hofkarten scheinen damit nicht ganz zusammenzupassen. Doch die Erklärung liegt nahe: Im Spiel zählt der König vier Punkte, die Dame drei, der Ritter (heute Bube) zwei und der Knappe einen Punkt. Diese Zählweise ist eine Illustration der berühmten Tetraktys, in der diese Zahlen mit Kieselsteinen in einem Dreieck angeordnet wurden. 1 + 2 + 3 + 4 ergibt zusammen 10, und dies sind auch die inneren Zahlen der Dreiheit, symbolisch der „Hof“.
Die vier „Farben“ des Tarot – Stäbe, Kelche, Schwerter und Münzen – entsprechen den vier → Elementen. In den gewöhnlichen Spielkarten ist dieses Prinzip noch gewahrt: Die Münze (Scheibe, Karo) entspricht dem Element Erde; das Schwert (Blatt) dem Element Feuer; der Kelch (Herz) dem Element Wasser; der Stab (Kreuz) dem Element Luft.
Die 22 Karten der Großen Arkana haben im Tarot symbolische oder archetypische Bedeutung. Es sind dies die folgenden Karten: Welt, Gericht, Mond, Sonne, Sterne, Turm, Teufel, Tod, Mäßigkeit, Einsiedler, Gerechtigkeit, Gehenkter, Schicksalsrad, Kraft, Triumphwagen, Liebende, Hohepriester (Papst), Herrscher, Herrscherin, Hohepriesterin, Magier und Narr.
Die Zeit der Renaissance war eine große Zeit für Künstler, deshalb ähneln die Bilder in vielen Fällen Bildern, die schon früher gemalt wurden. Ausgaben von Dantes „Göttlicher Komödie“ wurden schon im 14. Jh. illustriert, so die Darstellungen des Todes, der Hölle, des Paradieses oder des Jüngsten Gerichts. Alle späteren Kartensätze sind Abwandlungen der Bilder des Visconti-Sforza-Spiels, jedoch ist ihre Symbolik wesentlich ausgefeilter, was auf einen möglichen Einfluss alchemistisch oder kabbalistisch beeinflusster Zeichner hinweist.
Einige der Bilder können durchaus als archetypische Symbole gelten, was einige Psychologen der Schule C.G. Jungs betonen. Beinahe jedes Bild kann archetypischen Gehalt haben (→ spirituelle Bilder). Während im Mittelalter Bilder wie Papst oder König durchaus zeitgemäß und tief im Unbewussten verankert waren, lösen derartige Bilder beim heutigen Menschen kaum noch Erkenntnisprozesse aus. Aus diesem Grund haben sich immer wieder moderne Künstler daran versucht, neue Bilder zu entwerfen.
Interessant ist auch ein anderer Zusammenhang: 13 Bilder der 50 Mantegna-Karten sind auch im Visconti-Tarot enthalten. Diese sollen in Florenz hergestellt worden sein, was eine Nähe zur neuplatonischen Akademie annehmen lässt, die der Bankier Cosimo de’ Medici (1389-1464) finanzierte. Diese neuplatonische Akademie förderte die Übersetzung und Verbreitung der Schriften von Platon, Aristoteles, Pythagoras u.a. und war damit maßgeblich an der Geburt der Renaissance beteiligt. Sie sichtete auch die esoterischen Wissenschaften, die hermetische Philosophie und Kabbala und entwickelte sie weiter.
Die Mantegna-Karten, die aus fünf Zehnerreihen bestehen, waren nach bestimmten Ideen zusammengestellt: So illustrieren die Bilder eins bis zehn die menschliche Gesellschaft vom Bettler bis zum Papst; elf bis 20 stellen die Musen dar, die Symbole der Kreativität; 21 bis 30 bilden alle freien Künste bzw. Wissenschaften ab, von der Grammatik bis hin zur Theologie; 31 bis 40 geben die kosmischen oder geistigen Prinzipien wieder, darunter Hoffnung, Barmherzigkeit, Mäßigkeit, Genialität. Die letzte Reihe besteht aus den Planetenbildern und den oberen Sphären. Diese Bildkarten unternahmen offenbar den Versuch, abgeleitet von der Verbindung der Prinzipien Ramon → Llulls und seinen Suchregeln, mit beweglichen und anschaulichen Bildern diese Ideen nachzuvollziehen und neu zu kombinieren. Da jedoch die Komplexität der Ideen Llulls damals keineswegs wirklich nachzuvollziehen war, konnten sich die Mantegna-Karten als „Lernspiel“ auch nicht durchsetzen. Diese Ausführungen über die Philosophie, auf deren Hintergrund das Tarot entstand, sind von nicht geringer Bedeutung, wenn die Denkmaschine Llulls tatsächlich der Entwicklung der Karten zugrunde lag.
Ein anderer bedeutender Philosoph dieser Zeit, Nikolaus von → Kues (1401-1464), erfand zur gleichen Zeit das „Globusspiel“, das auch eine Art philosophische „Maschine“ ist. Er benutzt eine Kugel, die nicht ganz rund ist, und wirft sie in ein Feld von zehn konzentrischen Kreisen. Daraus ergeben sich gewisse philosophische Erkenntnisse. Man vermutet, dass das Kegeln davon abgeleitet wurde.
All diese Umstände drücken aus, dass Spiele zur Unterhaltung und zur Erkenntnis viele geistvolle Köpfe beschäftigt haben und dass das Tarot ein Ergebnis dieser Experimente war. Die Verbindung des Tarot, das sich als Wahrsagesystem (→ Orakel) insbesondere durch die Zigeuner in Europa verbreitet hatte, mit der Esoterik und → Magie kam indes erst im 19. Jh. durch den französischen Arzt und Okkultisten Papus (Dr. Gérard Encausse, 1865-1916) zustande, der sich wiederum von Eliphas → Lévi inspirieren ließ. Beide schrieben den Kartensymbolen eine esoterische Bedeutung zu, insbesondere auch in Verbindung mit den Zeichen des hebr. Alphabets. Papus sah auch die Bedeutung der „Denkmaschine“ von Ramon Llull und ordnete die Tarotkarten entsprechend kreisförmig an. Dabei brachte er die alchemistische Idee der Verwandlung der Dreiheit in die Vierheit (→ Vierter Weg) in Beziehung zum Tetragrammaton, dem hebr. Gott Jahwe: Iod, He, Vau, He (→ Kabbala).
Eine weitere mögliche Parallele der Kartenbilder des Tarot und der hebr. Schriftzeichen sieht man in deren Ursprung aus den altägyptischen Hieroglyphen und dem esoterischen Wissen der ägyptischen Priester, dem „Buch des Thoth“. Thoth, der Gott der Weisheit, wurde in der → hermetischen Philosophie zu Hermes Trismegistos.
Beim Legen der Karten zur Voraussage (→ Orakel) werden meistens alle Karten benutzt, auch die 56 der Kleinen Arkana, denen man entsprechend der Zahlenwerte und Farben Bedeutungen zuschreibt, auf welchen die Interpretationen beruhen. Viele Tarotdecks sind demgemäß gestaltet. So versah die Künstlerin Pamela Colman Smith auf Anregung von Arthur Edward Waite im populärsten Kartensatz (Rider-Waite, weil Rider & Co. diese Karten 1910 herausbrachte) den Bedeutungen gemäß alle Karten mit symbolhaften „magischen“ Bildern. Ein weiteres populäres Deck ist das von Frieda Harris, einer Freundin von Aleister → Crowley, die nach seinen Vorstellungen malte. Diese Karten sind vom Expressionismus inspiriert, was ihnen eine starke Dynamik verleiht. Aber es wurden und werden auch immer wieder andere schöne Tarotkarten v.a. von Frauen geschaffen.
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