Tao

von Lexikon

Tao (Dao)

Der philosophische Taoismus wurde von dem Weisen Dschuang-Ze (Chuang Tzu, 369-286 v.u.Z.) gemeinsam mit Lao-tzu/Laotse (Lao-ze, vermutlich 200 v.u.Z.) begründet. Auf Dschuang-Ze geht die Aussage zurück: „Versuche nicht, am Dao festzuhalten, hoffe nur, dass es dich festhält.“
Die daoistische Weltanschauung besticht durch ihre grundlegende Einfachheit, die darauf beruht, dem Lauf der Dinge zu folgen, dem sinnvollen Weg. In aktuellen Büchern unter Titeln wie „Ein Taoist an der Wall Street“ oder „Das Tao der Politik“ wird diese Lebensweisheit auch für das heutige, komplexe Leben als praktische Philosophie nutzbar gemacht. „Zur Meisterung dieses Lebens wird keine einzige Fähigkeit gefordert, die nicht bereits bei uns vorhanden ist. Allerdings haben die meisten Menschen verlernt, mit der einen oder anderen dieser Fähigkeiten umzugehen“, erklärt Theo Fischer das Leben im „Geiste des Tao“.
Das Geheimnis der Lebenskunst wird im Gedanken des wu wei ausgedrückt, der Identität von Handeln und Nichthandeln. Das Nichthandeln bedeutet dabei nicht Untätigkeit, sondern vielmehr „wirken, ohne zu streiten“, also nicht gegen den Fluss der Dinge anzukämpfen. Darin ist die Vorstellung enthalten, dass es bei aller Verschiedenheit der Manifestationen eine Einheit gibt. Dieser Gedanke ist auch dem Zhan-(Ch’an)-Buddhismus zu eigen (→ Zen), der in seiner höchsten Ausprägung, der chines. Huayan(→ Hua-Yen)-Philosophie des Fazang (Fa-tsang, 643-712) die Vorstellung ausdrückt, dass das Universum eine riesige Bühne ist, auf der ein Schauspiel voll unendlich komplizierter Wechselwirkungen aller Kräfte aufgeführt wird: So ist Eins auch Alles, und Alles ist Eins. Daraus ergibt sich das spontane Handeln im Augenblick, in der Übereinstimmung mit der jeweiligen Notwendigkeit. Dieser Gedanke findet sich auch im indischen Advaita-Vedanta (→ Vedanta) und der modernen Idee, das Universum sei eine Art Hologramm, in dem der kleinste Teil das Ganze in sich enthält.
Der Weg – das Dao (tao) – hat die Kraft, Gegensätze auf einer höheren Ebene des Bewusstseins vereinen zu können. Das Verstehen von Dao ist eine innere Erfahrung, in der die Unterscheidung von Subjekt und Objekt verschwindet. Es ist eher eine intuitive, unmittelbare Bewusstheit als ein vermittelnder, schlussfolgender oder intellektueller Prozess. Dao öffnet sich nicht in lebendige Bewusstheit, bevor nicht alle Unterscheidungen zwischen Selbst und Nichtselbst verloren gehen.
Die Daoisten betonen, dass Mensch, Natur und Kosmos eine Einheit sind. Das Dao ist die Ordnung dieser Ganzheit, das Gesetz, das in allem wirkt. Deshalb wird auch nicht zwischen Geist und Materie unterschieden – Himmel, Erde und Mensch stehen in Wechselwirkung zueinander und sind voneinander abhängig. Die tiefe Erkenntnis dieser Zusammenhänge geht aus dem uralten magischen Weltbild der Schamanen (→ Schamanismus) hervor, die den Weg der Natur, des Menschen und des Himmels als Manifestation der einen, nichtmanifestierten Kraft ansahen. Diese Nichtkraft wird symbolisch als Kreis (0) dargestellt, Wuji (Wu-Chi), der Urgrund, in dem alle Unterschiede noch ungeschieden nebeneinander vorhanden sind. Aus diesem absoluten Nichtsein geht das Taiji (Tai-Chi), der Uranfang, das Eine (1) hervor, das sich dann in die zwei (2) Prinzipien, die aktive, lichte Kraft des Yang und die passive, verhüllende Kraft des Yin, wandelt. Aus ihrer Vereinigung entstehen die fünf → Elemente, die wiederum die 10 000 Dinge hervorrufen (→ Yin und Yang).
Im Daodejing (Tao-Te-King) heißt es: „Der Sinn erzeugt die Eins, Die Eins erzeugt die Zwei. Die Zwei erzeugt die Drei. Die Drei erzeugt alle Dinge.“ (Laotse, Tao te king, übers. v. Richard Wilhelm, 1978, Vers 42) In anderen Übersetzungen wird „der Sinn“ auch mit „TAO“ oder „die Null“ interpretiert. Bei Laoze (Lao-Tse) ist das Dao der Ursprung aller Wesen; seine Kraft ernährt sie, sein Wesen gestaltet sie, und sein Wirken vollendet sie. Indem das Dao zu einer Vielheit wird, treten in der Welt Gegensätze auf.
Auf das Reich des Himmels bezogen ist Yin für die Chinesen „dunkel“ und Yang „licht“, auf das Reich der Erde bezogen ist Yin „schwach“ und Yang „stark“. Dazwischen, auf das Reich der Menschen bezogen, ist Yin „Liebe und Zuwendung“ und Yang „Gerechtigkeit“, in dem Sinne, dass jedes Wesen seinen Platz finden möge. Yin, die weibliche Naturkraft, wird mit der Erde und dem Kalten verglichen. Wenn beide Naturkräfte, die weibliche und die männliche (Yang), zusammen genannt werden, steht Yin immer an erster Stelle.
Die Daoisten sehen im Yijing (→ I Ging) einen genauen Führer zur menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Der große Philosoph Kongze (Konfuzius, 551-479 v.u.Z.) und Zeitgenosse von → Buddha und Laoze (Laotse), begründete eine Weisheitsschule, die ebenfalls auf dem Yijing basiert. Seine bedeutende Grundlage ist die Menschlichkeit, womit er den modernen Humanismus lange vorweggenommen hat. „Was du selbst nicht wünschst, das füge auch den anderen Menschen nicht zu“ war die Devise, die er im Lunyu (Lun-yü), seinen Lehrgesprächen, äußerte. Menschlichkeit umfasst die Tugenden der Gewissenhaftigkeit und der Gegenseitigkeit.
Der bekannteste Daoist im Westen ist Laoze (Laotse, um 570 – ca. 490 v.u.Z.), der angeblich das Daodejing (Tao-Te-King) verfasst haben soll.
Richard Wilhelm, der unübertroffene Übersetzer des Yijing (I Ging), erläutert:

„Das Taoteking in seiner epigrammatischen Kürze ist als Weisheitsbuch beinahe ebenso unerschöpflich wie das Tao, der Sinn, von dem es handelt. Die starke und unmittelbare Wirkung, die es auch heute, nahezu dreitausend Jahre nach seiner Entstehung, noch auf uns hat, beruht darauf, dass Laotse seinen Erkenntnissen in ganz elementaren, ja fast archetypischen Bildern Ausdruck gibt.“ (Richard Wilhelm 1978, 8)

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