Ritual

von Lexikon

Ritus oder Ritual bedeutet Anordnung, Reihenfolge. Rituale strukturieren, begrenzen, spiegeln im Äußeren eine innere Ordnung wider. Rituale, die keine Alltagsrituale, sind sondern in einem spirituellen Zusammenhang stehen, reflektieren die jeweilige Vorstellung der kosmischen Ordnung.
Spirituelle Rituale zeichnen sich durch das Moment der Wiederholung aus. Die Wiederholung gibt den Kreislauf des Lebens wieder, durch die Wiederholung wird die Ordnung des Universums jeden Augenblick neu erschaffen. In jedem Moment kehrt die → Zeit zum Ursprung zurück (→ Ewigkeit). Ausdehnen und Zusammenziehen, Ausatmen und Einatmen sind Ausdruck dieser kontinuierlichen Schöpfung. Der Fluss der auf- und absteigenden Energien erfolgt in einem geordneten Muster, sodass das menschliche Gehirn zwar bemerkt, dass sich alles in Bewegung befindet, aber dennoch die → Wahrnehmung hat, alles bliebe gleich.
Das Zeiterleben in den alten → Märchen und Mythen weist auf das Verständnis von → Zeit in den rituellen Kulturen hin, in denen diese als ein Kreislauf erlebt wird und nicht wie in unserer heutigen Kultur als lineare Zeitstrecke bzw. Zeitpfeil, der sich auf das Morgen und Übermorgen richtet. Das Zeiterlebnis als Kreislauf beinhaltet in den rituellen Kulturen (z.B. dem → Schamanismus) immer wieder die Rückkehr zum Jahresursprung, also zum Zeitursprung, an dem alles Werden beginnt. Das ist die Zone, in der die Zeit sich selbst erneuert, die → „Traumzeit”. Durch das Erzählen dieser alten „Träume” in Ritualen und im rituellen Tanz wird die Welt und ihr Geschehen immer wieder neu erschaffen. Das Ritual wird so zur goldenen Brücke als Zugang zur anderen Wirklichkeit, den Welten des Bewusstseins.
Eine bewusste rituelle Handlung ist eine wichtige Einstimmung in einen geschützten Raum innerhalb des Bewusstseinsfelds. Sie hilft, sich mit den unsichtbaren Kräften zu verbinden und diese für eine gewisse Zeit in die menschliche Welt einzuladen, um Hilfe zur Heilung, bei Lebenskrisen und Übergängen und zur Erkenntnis zu erhalten (→ Opfer).
Eine unvorbereitete Begegnung mit „unsichtbaren Kräften“, dem „Geist von etwas“ (→ Geister), kann in eine Konfrontation führen, die den eigenen Geist, das Feld der → Seele und auch den Körper aus seiner Ordnung werfen kann. Rituale stellen so gesehen nicht nur äußerliche Ordnungen her, sie schützen auch die inneren Ordnungen. Rituale machen die Absicht, willentlich einen geistigen Raum zu betreten, durch bestimmte Handlungen sicht-, hör-, riech- und spürbar (→ Opfer). Rituale ziehen Zäune zwischen den verschiedenen Welten und Wirklichkeiten, um deren Ordnungen, Informationen und Kräfte nicht zu verwirren. So sollte die Person, die ein Ritual ausführt, ihr persönliches Bewusstsein darauf vorbereiten, einem „anderen Geist“, einem „anderen Seelenfeld“ zu begegnen, ohne dass ihr Geist und ihr Seelenfeld dabei Schaden nehmen und ohne dass einem anderen geschadet wird.
Ein Zustand der Wachheit und gleichzeitigen Entspannung in Körper und Geist sind die besten Voraussetzungen für diese bewusste Begegnung. Dieser Zustand lässt sich durch Körperentspannung (→ Meditation) und Atemübungen (→ Atem, Atemtechniken) erreichen. In diesem Zustand bleibt die ausführende Person ohne Verhaftung an Vorstellungen und Erwartungen und kann so die Begegnung mit etwas nicht Bekanntem, nicht Vertrautem zulassen, ohne ihre geistige und seelische Stabilität zu gefährden.
Ob man einer bestimmten Wesenheit begegnet, einem → Engel, einem Geistwesen (→ Geister), dem Geist einer Pflanze oder dem eines Tieres, hängt vom Glaubenssystem und der Resonanz auf einen Teil des → Bewusstseinsfeldes ab, der mit diesem bestimmten Geist oder diesem bestimmten Seelenfeld verknüpft ist. „Indem die Teilnehmer rituelle Handlungen möglichst auf die gleiche Weise vollziehen, wie sie zuvor schon vollzogen worden sind, begeben sie sich in eine morphische Resonanz mit jenen, die das Ritual in der Vergangenheit praktizierten. Wir haben es da mit einem Zusammenbruch der Zeit zu tun“ (Rupert Sheldrake 1999, 171; → morphogenetische Felder).
Im Heilritual steht körperlich-sinnliches und emotionales Erleben im Vordergrund. Durch das Ritual können auch alltägliche Gegenstände zu einem geistig wirkenden Prinzip werden. Der Gegenstand, das Material bekommt im Ritus nicht die Bedeutung von etwas, ist nicht ein Symbol für etwas – sondern ist die konkrete Übermittlung einer Energie, einer geistigen Kraft. Das katholische Abendmahl beharrt deshalb auch auf der Formel „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“ und nicht „Dieser Wein ist ein Symbol für mein Blut“ (→ magische Symbole).
Der Erfolg von Heilritualen ist weitgehend abhängig davon, ob der Hilfesuchende Vertrauen zum „Heilenden“ hat und seine Vorstellungen von Körper, Gesundheit und Krankheit, dem geistigen Feld und den Zusammenhängen zwischen diesen Elementen weitgehend mit den Vorstellungen der das Heilritual ausführenden Person übereinstimmen.
Das beste Heilritual ist jenes, an das man glaubt. Wenn das Ritual mit dem eigenen Glaubenssystem übereinstimmt, wird es von Glauben und Hoffnung getragen – die besten Grundlagen für eine Heilung. Ein Ritual, das vom Ausführenden nicht innerlich getragen wird, ist ein entleertes Ritual (→ Trance). Ähnlich kann auch ein Heilritual, in das nicht die vom Ausführenden unabhängige Qualität der Gnade, des Geschenkes, einfließt, keine Heilung bewirken. „Gnade“ ist die tiefe Erfahrung, von einer Kraft unterstützt zu sein, die weit größer ist als man selbst.
Frauen haben – weil sie biologisch mit den natürlichen Rhythmen enger verbunden sind (→ Hexen, → Göttin) – ein besonders intensives und kreatives Verhältnis zu Ritualen. So ist es nicht verwunderlich, dass das Ritual als spirituelle Methode heute hauptsächlich von Frauen, die die Kraft des lebendigen Rituals erkannt haben, neu belebt und angewandt wird. Ein lebendiges Ritual befindet sich immer im Fluss, in der Veränderung, denn wenn Rituale über lange Zeiträume mechanisch wiederholt werden, erstarren sie und verlieren ihre Kraft.

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