Mysterien (griech. „Geheimnisse“)
Im frühen 2. Jahrtausend v.u.Z. wurden in Griechenland die Mysterien von Eleusis begründet und schlugen von da an die alljährlich am Ritual teilnehmenden Initianden in Bann. Absolutes Schweigen über die Ereignisse dort war Pflicht, sodass die Einzelheiten des Rituals erst während der Profanierungswelle ca. 415 v.u.Z. bekannt wurden. Dennoch wusste man lange nicht, dass der berühmte „Trank“ psychedelische Wirkung hatte. Prof. Carl A.P. Ruck dazu:
„Und tatsächlich wissen wir, dass die Einnahme eines besonderen Trankes, des kykeon, einen wesentlichen Teil des Mysteriums bildete. Die Ingredienzen dieses Tranks sind in der Homerischen Hymne an Demeter erwähnt: Gerste (alphi), Wasser und Minze (glechon). Watkins hat nachgewiesen, dass die Prozeduren und Zutaten für die Zubereitung solcher magischer und ritueller Getränke in den griech. Quellen in ihrer Formulierung exakte Übereinstimmungen mit dem vedischen Somaritual zeigen …“ (Carl A.P. Ruck in: Wasson, Hofmann, Ruck 1984)
Priesterinnen führten das Zeremoniell durch, bei dem der hl. Trank gemischt wurde. Dieser ist selbstverständlich kein Gerstenbier, sondern – wie Albert Hofmann nachweist – ein Trank, der LSD enthielt:
„Wir analysierten Mutterkorn (claviceps purpurea) von Weizen und Gerste in unserem Laboratorium, und es zeigte sich, dass sie grundsätzlich dieselben Alkaloide wie Roggenmutterkorn enthielten … Die Isolierung der halluzinogenen Wirkstoffe durch einfache Lösung in Wasser lag ohne weiteres im Bereich der Möglichkeiten, die dem Menschen im alten Griechenland offenstanden.“ (Albert Hofmann in: Wasson, Hofmann, Ruck 1984 → Psychedelische Erfahrung)
Die Initianden, die am Mysterium von Eleusis teilnahmen, hießen mystes, „einer, der vor der Welt die Augen verschlossen hatte“. Doch in Eleusis hatte man die Vision, die epopteia, und jemand, der gesehen hatte, wurde ein epoptes.
Unter dem Namen Dionysos, Gott des Weines und der Berauschung, überlebte der als Gatte der Muttergöttin assimilierte Zeus bis in die klassische Periode hinein (→ Griechen). Sein Name weist ihn als Zeus von Nysa aus, denn Dios (vom idg. tiu) ist eine andere Form des Wortes Zeus: Dio-nysos. Wenn Dionysos mit seinen Anhängerinnen, den Mänaden oder Bacchantinnen, göttliche Orgien feierte, enthielt der Trank gewisse Pilze und Rauschmittel. Die gebräuchliche Metapher für „Pilz“, mykes (diese Vokabel ging auch in den Namen der Stadt Mykene ein), war phallos; wahrscheinlich verknüpfte man deshalb in der Überlieferung der „Orgien“ (von ta orgia, „in die Glieder fahren“) die Mysterien sehr häufig auch mit sexuellen Ausschweifungen. Doch vermutlich war es eher die Wirkung des Pilztrankes, der in die Glieder fuhr. Durch Musik, Tanz, Singen, Schreien, Wein oder Drogen wurde so erreicht, dass die Götter im heiligen Wahnsinn (mania) erfahren werden konnten.
Auf dem Hintergrund der griech. Mysterienschulen können wir klarer verstehen, was ein mystisches Erlebnis ausmacht. Es erfasst den ganzen Menschen – Körper, Seele und Geist. Die mystische Übung in diesem Sinne besteht darin, Körper und Seele fähig zu machen, das Göttliche zu erfahren bzw. sich mit ihm zu vereinigen. Monate des Lernens und der Rituale gingen der Offenbarung der Mysteriennacht voraus: Wanderungen, Fasten, Reinigung, Rituale. Dasselbe gilt auch für die schamanischen Traditionen, die mit oder ohne psychoaktive Drogen mystische Erfahrungen anstreben. Da wir heute wissen, dass der Körper in Ausnahmezuständen verstärkt körpereigene Drogen (Endorphine, Adrenalin, DMT) ausschüttet, sind viele der bekannten Praktiken verschiedener mystischer Schulen verständlich: Nahrungsdeprivation (z.B. wie bei manchen Sufis über längere Zeit einen Tag Fasten, einen Tag essen, was den Organismus völlig depriviert, da er sich an keinen Zustand gewöhnen kann), die rezitative Wiederholung von → Mantras oder → Gebeten, oft verbunden mit Atem- und Körperübungen (→ Atem, Atemtechniken), nächtelanges Tanzen wie bei den amerikanischen Indianern, bestimmte Musik, Rückzug mit Verzicht auf Sprechen, tagelange Meditation und viele andere Übungen. Auch in Europa und Vorderasien sind noch Trancetänze (→ Trance) erhalten, z.B. die ekstatische Tarantella in Süditalien oder verschiedene Derwischtänze.