Kues, Nikolaus (1401-1464)
Kaum ein anderer mittelalterlicher Denker hat die hermetisch-theosophischen Gedankensysteme (→ Hermetik) des 16. und 17. Jh. so entscheidend geprägt wie dieser → neuplatonische Universalgelehrte. Seine Vorstellung vom Zusammenfall aller Gegensätze in Gott und die daraus resultierenden Spekulationen (→ Wahrnehmung) über die Unbegrenztheit des Weltalls und des menschlichen Daseins haben die Anschauungen von Marsilio Ficino (1433-99) und Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), den großen neuplatonischen Philosophen der Renaissance, und auch Giordano Bruno (1548- 1600) beeinflusst.
In seiner Schrift „Über die Mutmaßung“ (ca. 1440) erklärt Kues (auch lat. Cusanus) seine Lehre von den vier Erkenntnisebenen, an denen der Mensch teilhat, anhand von zwei Diagrammen. Die Figura Paradigmatica stellt das Universum in der Durchdringung zweier Pyramiden vor, deren Basen er die Einheit (unitas) und die Andersheit (alteritas) nennt. In diesen beiden seien alle anderen Gegensätze enthalten: → Gott und Nichts (→ Nichtsein), Licht und Dunkelheit, Allgemeines und Besonderes, Männlich und Weiblich. Auf- und Abstieg, Evolution und Involution (→ Oktavengesetz) seien ein und dasselbe. Das Fortschreiten des einen sei das Zurückschreiten des anderen. Von Kues sagt: Der Satz „Gott ist in der Welt“ sei ebenso gültig wie „Die Welt ist in Gott“.
In seinem zweiten bedeutenden Diagramm, der Figura Universalis, sind der äußeren Begrenzung des Alls drei ineinander geschachtelte Welten eingeschrieben: die Welt Gottes, die Welt der Intelligenz und die Welt der Vernunftseele, deren äußerer Rand die Sinne sind (→ Geist). In dieser unteren Region sind Widersprüche unvereinbar, in der mittleren werden sie aufgehoben, und in der oberen Welt gehen sie in völliger Bejahung in Gott auf. Dieses Konzept weist viele Parallelen mit den vier Welten der → Kabbala auf, die gerade während der Renaissance zur vollen Blüte im westlichen Denken kam. Robert Fludd (1574-1637) und Athanasius Kircher (1602-1680) griffen diese Ideen und die von Ramon → Llull später wieder auf und schufen auf dieser Grundlage eigene Darstellungen.