âDie Frage lautet nicht, wie es dazu gekommen ist oder welcher Faktor diesen Effekt hervorgerufen hat, sondern was im selben Augenblick in sinnvoller Weise zusammen geschehen mag. Die Chinesen fragen immer: Was neigt dazu, in der Zeit zusammenzupassen?â (Marie-Louise von Franz 1970)
Orakel gab es zu allen Zeiten, denn nichts ist so interessant wie die Zukunft â die Zeit, die es noch gar nicht gibt. Der mittelalterliche Philosoph und Kabbalist Agrippa von Nettesheim (1486-1535) erläutert in seinen âMagischen Werkenâ eine ganze Reihe von Orakeln (â Magie). Bei jedem Orakelsystem kommt es im Wesentlichen auf die Bedeutung an, die man einzelnen Teilen, Zahlen oder Symbolen zuschreibt. Weissagung ist deshalb faszinierend, weil sie unsere Vision in eine Welt fĂźhrt, die nicht vĂśllig von den Gesetzen von Zeit und Raum beherrscht wird.
Das Orakel (âweises Sprechenâ) lässt sich historisch bis auf die Schamanen der Urzeit zurĂźckverfolgen. Die indianischen Schamanen, die Medizinmänner, gehen heute noch auf die â Visionssuche, wenn sie Antwort auf eine wichtige Frage suchen. Die Mitteilung Ăźber ihre Vision wird dann von ihnen oder den Weisen des Stammes interpretiert. Bei den vorchristl. Griechen war das Orakel von â Delphi eine Frau (die âPythiaâ) mit Ăźbersinnlicher oder medialer Wahrnehmung, die verschlĂźsselte SprĂźche von sich gab.
Das wohl prominenteste afrikanische Orakel ist jenes von Ifa und Teil der Religion der Yoruba. 4096 odus (Allegorien) sind die Grundlage dieses Orakels. 16 x 16 x 16 MĂśglichkeiten ergeben sich beim Werfen der Kaurischnecken. Der Orakelpriester kennt die Odus auswendig, sodass sie ihm ohne MĂźhe â in vollkommen selbst kontrollierter â Trance â in den Sinn kommen, sobald eine Zahlenkombination im Orakel auftaucht. UngelĂśst ist das Rätsel, wieso die Texte zur Frage passen, denn sie sind keineswegs so vieldeutig, dass jeder Text zu jeder Frage etwas bietet (was Ăźbrigens in gewisser Hinsicht auch fĂźr das chines. â I Ging zutrifft).
Das chines. Domino-Spiel, das wahrscheinlich das Vorbild fĂźr die Anordnung der MĂźnzen, Kelche, Stäbe und Schwerter des â Tarot und der heutigen Zahlenkarten der Kartenspiele war, soll auch zur Zukunftsvorhersage benutzt worden sein. Den Germanen schreibt man das System des Werfens von StĂścken oder Steinplättchen zu, in die â Runen eingeritzt waren. Man nannte dies das âLoswerfenâ; aus âLosâ wurde dann âLesenâ (â magische Symbole). Die Weisen der Germanen lasen so aus den Runen und interpretierten Zusammenhänge. Sie verschrieben aufgrund der davon abgeleiteten Erkenntnisse Heilmittel oder bannten feindlich gesinnte Geister. Das Werfen von so genannten Traumsteinen ist auch bei den australischen Aborigenes eine beliebte Divinationsmethode (â Traumzeit).
Agrippa von Nettesheim fĂźhrt in seinen âMagischen Werkenâ eine ganze Reihe von Weissagungsmethoden an, darunter die âGeomantieâ oder âPunktierkunstâ (â Geomantie und Geometrieâ).
âDie Geomantie ist eine Kunst, welche mittels des Loses auf jede Frage, was es auch betreffen mag, uns Antwort erteilt. Das Los besteht hier in Punkten, aus denen man gewisse Figuren nach der Gleichheit und Ungleichheit ableitet. Diese Figuren werden sodann auf himmlische Figuren zurĂźckgefĂźhrt, deren Natur und Eigenschaften sie nach den Verhältnissen der Himmelszeichen und Planeten annehmen.â (Agrippa von Nettesheim 1979, 5)
Diese Figuren aus vier bis sieben Punkten ähneln wiederum sehr stark den Punkten auf den Dominosteinen.
Eine der ältesten schriftlichen Ăberlieferungen eines Vorhersagesystems ist das chines. â I Ging (Yijing), das durch die Kombination von Strichen, die durch das Werfen von Stäbchen (oder MĂźnzen) ermittelt werden, Anweisungen fĂźr das ârechteâ Handeln gibt. Manche sagen, das I Ging sei ein Weisheitsbuch, das als Orakel benutzt wurde. Zwischen der Weisheit und dem Orakel besteht indes kein Widerspruch, denn im Zusammenhang zwischen intuitiver Erkenntnis und der Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Situationen liegt eine tiefe Weisheit verborgen.
Die chines. Philosophie grĂźndet auf der taoistischen Weisheit, dass aus dem unfassbaren Dao (Tao) die Zweiheit von â Yin (dem weiblichen Urgrund) und Yang (dem männlichen Ursprung) entsteht und daraus alle Dinge der Welt hervorgehen. Dieses Wechselspiel der Yin- und Yang-Kräfte wird als Wechsel zwischen null und eins abgebildet. Daraus ergibt sich ganz natĂźrlich das binäre Zahlensystem, das durch gebrochene und durchgehende Linien im I Ging dargestellt wird. Durch Verdoppelung entstehen dann vier Bilder (das groĂe Yang, das kleine Yang, das groĂe Yin, das kleine Yin), die den vier Jahreszeiten entsprechen. Durch weitere HinzufĂźgung einer Linie zu diesen Grundelementen entstehen dann die acht Trigramme, die sich auf die Himmelsrichtungen oder die Elemente in konkreter und abstrakter Form wiedergeben. Ein Trigramm z.B. stellt ch’ien, die Luft, dar, deren Gegenbild sun, den Atem, ist. Es gibt auch ein alternatives I Ging auf Basis der Drei bzw. Neun; es heiĂt Taixuan (âGroĂes Mysteriumâ) und wurde von Yang Xiong um die Zeitenwende entwickelt. Seine 81 Tetragramme bilden eine sich entwickelnde Folge (Prozessgedanke wie im â Enneagramm) und stellen im Prinzip ein trinäres Zahlensystem (0000, 0001, 0002 etc.) dar.
Beim Schachspiel, das vermutlich ebenso alt ist wie das I Ging, finden wir ganz ähnliche Eigenschaften abgebildet. Die acht Hauptfiguren im âSpiel des Ashaâ (shah = KĂśnig), wie es ursprĂźnglich hieĂ, sind: Macht, Liebe, Weisheit, die Erhalterin, der SchĂśpfer, ewiges Leben, Arbeit, Frieden. Ihre elementaren Manifestationen (die âBauernâ) sind Sonne, Wasser, Luft, Nahrung, Mensch, Erde, Gesundheit, Freude. Das Schachbrett stellt eine kosmische Struktur aus 64 Feldern dar, auf denen diese Kräfte in unendlich vielfältige Kombinationen treten kĂśnnen. Die Stellung der Figuren lässt somit auf grĂśĂere Zusammenhänge schlieĂen, in welche der Spieler eingebettet ist. Der immer währende Wechsel zwischen dunklen und lichten Kräften drĂźckt die unendliche Wandelbarkeit im Leben des Menschen aus (â Zoroaster).
MĂśgliche Erklärungen fĂźr die Funktionsweise von Orakeln sind das Phänomen der Gleichzeitigkeit (â Synchronizität) und die Theorie der â morphogenetischen Felder. Kann ein Wahrsagesystem tatsächlich funktionieren? Die 64 Bilder des â I Ging âentsprechenâ dem genetischen Code, wie Martin SchĂśnberger (1973) und andere nachgewiesen haben. Diese Tatsache verweist auf einen Zusammenhang zwischen der Variationsbreite unserer Erbanlagen (die sich allerdings erst durch Millionen von DNS-Strängen in unzähligen Kombinationen zur Zelle und zum Menschen herausbilden) und 64 grundlegenden Lebenssituationen, wobei jede der sechs Linien des âHexagrammbildesâ weitere Interpretationen erĂśffnen, also insgesamt 64 x 6 = 384.
Im â Tarot haben wir 78 Bilder. Legen wir eine Auswahl von sechs Karten in eine Reihe, so entstehen 468 InterpretationsmĂśglichkeiten, weil der Platz jeder Karte eine andere Bedeutung hat; bei zehn Karten, der Legeweise âKeltisches Kreuzâ, sind das 780 unterschiedliche Folgen. Daraus kĂśnnen wir leicht erkennen, dass diese Anzahl unser Repertoire an Auslegungen bzw. das Verstehen einer Situation weit Ăźbersteigt. Es ist schon schwierig, eine vernĂźnftige Aussage Ăźber ein I-Ging-Bild oder eine Karte zu machen; zwei oder mehrere Bilder aufeinander zu beziehen wirft jedoch mehr Fragen als LĂśsungen auf. Wenn nun ein Kartenleger sensitiv fĂźr das Erdsensorium oder das â morphogenetische Feld ist, kĂśnnen die Karten ihm Hinweise liefern, die er dann frei interpretiert. Nur die feinere Wahrnehmung des Kartenlegers lässt eine Zukunftsvoraussage oder eine intuitive Einsicht zu.
Die Zukunftsvoraussage gewinnt fĂźr uns heute immer mehr an Bedeutung, weil uns langsam bewusst wird, dass die physikalischen Gesetze, die eine Vorhersage aufgrund mechanischer Kausalitäten mĂśglich machen sollten, sich derart gewandelt haben, dass der Unsicherheitsfaktor wesentlich grĂśĂer ist als angenommen (â Risiko).
Selbst im atomaren Bereich kann und wird nicht mehr mit der Newtonschen Mechanik gearbeitet. Es ist sehr unbestimmt, wie Elektronen reagieren. Dennoch hat die Wissenschaft auf dieser Ebene noch eine gewisse Sicherheit, die durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Hilfe schneller Computerrechner mĂśglich ist. Doch sobald mehrere Elemente miteinander interagieren, ist die Anzahl der Elemente zu hoch fĂźr eine Kalkulation. Hinzu kommt Heisenbergs Unschärferelation, die besagt, dass wir nicht in der Lage sind, gleichzeitig Welle oder Teilchen zu sehen. Daraus ist zu schlieĂen, dass der Beobachter das Ergebnis des Experiments verändert.
Bei lebenden Strukturen ändert sich die Voraussagefähigkeit. Das Leben hat ein Ziel oder sucht ein Ziel. Allerdings bestimmt das genetische Muster nicht die Zukunft, sondern macht sie nur mĂśglich. FĂźr die menschliche Entwicklung sind vielfältige Komponenten von Bedeutung: genetisches Muster, gesellschaftliche und kosmische EinflĂźsse, Anlagen und die Umgebung. Menschen sind auch mit einem geistigen Muster in Verbindung, der Anlage von dem, was sie wirklich sind oder werden kĂśnnen, der Motivation, die ihrem Leben von Geburt an eine Bedeutung gibt. Doch das hĂśhere â Selbst hält mehrere MĂśglichkeiten offen. Das Schicksal ist nicht nur linear, es ist mehrdimensional, weil es nicht auf materiellen oder physikalischen GesetzmäĂigkeiten allein basiert. Das Schicksal setzt sich aus vielen Dingen zusammen, die nicht kalkuliert werden kĂśnnen (â Enneagramm).
Das Befragen eines Orakels ermÜglicht einen Kontakt mit dem, was in einem geistigen Bereich als MÜglichkeit angelegt ist. Deshalb kann ein bestimmtes Muster von Karten ein hÜheres Muster widerspiegeln. Doch es ist ein zweiseitiges Spiel: Durch das Legen der Karten oder Werfen der Stäbchen ßben wir auch einen organisierenden Einfluss auf das Zukunftsmuster aus.
Freier â Wille und Orakel: Was bei der â Astrologie (die ja auch fĂźr Vorhersagen benutzt wird) oder dem Kartenlegen selten einbezogen wird, ist die Rolle des freien Willens. Der Wille gehĂśrt einer anderen Dimension an als der Bereich des Seins, die traditionell als âastraleâ Ebene oder âzweite Weltâ bezeichnet wird ( â Geist). Wir mĂźssen uns vorstellen, dass wir es mit einem mehrdimensionalen Universum zu tun haben, in dem die verschiedenen Welten ineinander verwoben sind und vielfältige Verbindungen haben. Ein häufig benutztes Modell dieser Dimensionen ist die Idee der drei Welten (â Schamanismus). Die drei Welten sind: die physische, sichtbare Welt, die Welt der â Energien (Bewusstsein, Empfindungen, Gedanken, Form gebende Kräfte) und die Welt des â Geistes, d.h. der MĂśglichkeiten, der potenziellen Muster, des schĂśpferischen Willens.
Doch wir dĂźrfen uns dieses Schema nicht wie einen Baumkuchen geschichtet vorstellen. Es ist vielmehr so, dass die drei Welten ineinander verwoben sind. Zukunft, das Zustandekommen von Ereignissen, ist somit von diesen drei Bereichen abhängig. Der schĂśpferische Wille, der sich mit dem hĂśheren â Selbst des Menschen verbindet, ist somit in der Lage, gestaltend einzugreifen â er muss sogar eingreifen, weil sonst die Ereignisse kausal (erste Welt) Ăźber den Menschen hinwegrollen. Geschieht ein tatsächlicher Akt des Willens, so wird jede Zukunftsvoraussage beeinflusst oder unzutreffend (Feedbackschleife mit Welt zwei oder drei).
Das Wichtigste an der Frage der relativen Zukunftsvoraussage mit Karten oder anderen Mitteln ist die Entwicklung hĂśherer â Wahrnehmungen. Es ist auf jeden Fall entscheidend, dass der Kartenleger oder Interpret eines â Horoskops eine gewisse hĂśhere Wahrnehmung entwickelt hat. Sonst ist er nicht in der Lage, diese Dinge richtig zu beurteilen. Der richtige Rat hängt immer von der Person ab, die Karten legt und interpretiert. Dabei sollte nicht die MĂśglichkeit unterschätzt werden, dass sich Vorhergesagtes oder selbst Interpretiertes als sich selbst erfĂźllende Prophezeiung verwirklicht. Deshalb ist davon abzuraten, sich beim Kartenlegen auf detaillierte Aussagen einzulassen. Viel wichtiger ist die Bestandsaufnahme der allgemeinen Situation, die der Fragende dann anhand seiner Kenntnisse fĂźr sich selbst ĂźberprĂźfen kann. Die Selbstbeobachtung und ehrliche Selbsterforschung ist dabei Voraussetzung. Sonst kann man sich etwas einreden, das Ăźberhaupt nicht zutrifft.
Denn eine wirkliche Sicherheit, dass Zukunftsvoraussagen zutreffen, haben wir nicht. Solange Situationen aufgrund einer freien Willensentscheidung verändert werden kĂśnnen, besteht eine groĂe Unschärfe hinsichtlich der Richtigkeit der Auslegung; in dem Augenblick, in dem wir eine Entscheidung fĂźr die eine oder andere Handlung treffen, ergibt sich eine neue Situation, die neue Anforderungen stellt. Das Gleiche gilt fĂźr karmische Muster (â Karma) oder Charakterstrukturen. Beide kĂśnnen durch echte Entscheidungen (also solche, die ihre Kraft aus dem Bereich des wirklichen Willens auĂerhalb von Zeit und Raum beziehen) modifiziert werden.
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