Im Universum gibt es keine Schuld! – Ulla Geiger

von Thomas

Geben Sie sich selbst die Schuld, wenn Sie ein Problem haben? Dann machen Sie damit Ihr Problem dick und fett. Geben Sie anderen die Schuld, wenn Sie sich von jemandem schlecht behandelt fühlen? Dann verstärken Sie damit den Konflikt!

Uns selbst und anderen Schuld zu geben spielt eine große Rolle in unserer menschlichen Existenz und ist für viel Leid verantwortlich, unter anderem für Kriege. Unterbewusste Schuldgefühle, von deren Existenz wir noch nicht einmal etwas ahnen, sind oft Ursache persönlicher Probleme. Sie können sich hinter Depressionen, Burnout, Konflikten mit Partnern und Kollegen, Krankheiten oder einem ständig leidvollen Leben verbergen. Wir nennen das dann gerne „Schicksal“ und verkennen somit die wahren Zusammenhänge.

Ich möchte das Thema „Schuld“ einmal genauer betrachten und die folgende These aufstellen: Schuld ist eine menschliche Erfindung!

Ein Artikel von Ulla Geiger

 

WARUM BEHAUPTE ICH, ES GÄBE IM UNIVERSUM KEINE SCHULD?

Weil ich bei der Beschäftigung mit den Ursachen von „böse“ genanntem menschlichen Verhalten immer auf unterbewusste Verstrickungen gestoßen bin, denen der Täter, ohne Einfluss zu haben, ausgeliefert war. Beispielsweise habe ich mich mit Mördern beschäftigt, die kein Mitgefühl für das Leid ihrer Opfer zeigen. Ein solcher Mensch berichtete in einem Gespräch mit seiner Therapeutin im Gefängnis in der Arte-Dokumentation „Das Böse – Warum Menschen töten“ 2012, dass er als Kind und Jugendlicher regelmäßig von seinem Vater schwer geschlagen worden war. Der Junge hatte keinerlei Chance, sich gegen diesen viel stärkeren und größeren Mann zu wehren. Irgendwann wurde das Ganze dermaßen unerträglich, dass er nur noch einen Ausweg sah: Er stellte seinen Schmerz ab. Er sagte sich: „Du kannst mich ruhig schlagen, es macht mir nichts aus! Ich spüre keinen Schmerz mehr.“ Er ist nicht der einzige Täter mit Gewalterfahrungen in der Kindheit.

Bei Gehirnscans solcher Gewalttäter konnten Forscher dem u. a. für Schmerzempfinden zuständigen singulären Kortex den Mangel an Aktivierungen ansehen. Das gleiche Gehirnareal ist aber auch eine wichtige Region für Mitgefühl. Mit dem gewaltsamen Abstellen von Schmerz schwindet daher offensichtlich auch die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden. So wird plötzlich erklärbar, warum diese Täter im Gerichtssaal sitzen und sie das Leid ihrer Opfer absolut nicht anrührt.

Bei der Verhandlung wird die sogenannte „Schuldfähigkeit“ des Täters untersucht. Laut Definition bezieht sie sich darauf, dass ihm das Unrecht seiner Tat bewusst ist, und dass keine psychische Störung oder verminderte Intelligenz vorliegt (§ 20 StGB). Wenn das Morden aber eine Entlastungshandlung vergrabener Traumata ist, dann ist dieser Mensch von seinem Unterbewusstsein ferngesteuert – auch ohne diagnostizierbare psychiatrische Erkrankung. Die Hoffnung besteht darin, dass das Eingreifen in die Impulsabläufe und das Empfinden von Mitgefühl meist in therapeutischer Behandlung neu gelernt werden können.

Auch bei Forschungen zu Ego-Shooter-Spielen – es wurde das Gehirn von Probanden, während des Spielens gescannt – gab es ähnliche Hinweise. Bei der Vernichtung eines Gegners wurde das Belohnungszentrum aktiviert, während sich die Region für Empathie ausschaltete. Durch virtuelle Treffer wird der Traumadruck entlastet. Sich so abzureagieren kann nun besser sein, es erleidet ja schließlich niemand physischen Schaden, diese Spiele können aber auch gegenüber dem Leid anderer abstumpfen, indem die Hirnregion für Mitgefühl immer weniger benutzt wird. Nicht selten hatten Ego-Shooter-Spiele einen festen Platz im Leben von Amokläufern.

Bei Alltagskonflikten könnten im Gehirn ähnliche Mechanismen am Werk sein

Oft zeigt unser Gegenüber keinerlei Einfühlungsvermögen. Und was ist nun bei uns los? Es lohnt sich, auf beiden Seiten genau hinzuschauen, was eigentlich unter der Oberfläche abläuft. Man stößt meist auf psychologische Muster als Folge unterbewusster Verstrickungen. Wenn z. B. ein Kollege oder Mitschüler mobbt oder der Partner einem blöd kommt, hat diese Person in dem Moment kein Mitgefühl, sondern agiert in einer unterbewussten Fernsteuerung. Ein Unrechtsbewusstsein sucht man vergebens.

Jesus sagte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aber hier sollte es nicht darum gehen, was Gott-Vater tun soll, sondern, was wir tun sollten. Hilfreich ist es, zu verstehen. Mit dem Verstehen ändert sich unsere Haltung ganz von selbst zu mehr Milde und Mitgefühl … Mitgefühl mit dem anderen und mit uns selbst!

Sich schuldig fühlen nach dem Tod eines Menschen

Hier sind Schuldgefühle leichter zu entlarven: Man hat einen nahestehenden Menschen verloren und fühlt sich schuldig: Hätte ich bloß noch ein Gespräch führen können! Wäre ich nur mit ins Krankenhaus gefahren! Wäre ich nur nicht fremdgegangen, das hat meinen Partner umgebracht! Ich bin davon überzeugt, dass bei einer groß angelegten Studie, ob sich Hinterbliebene schuldig fühlen, bei so gut wie allen solche Gefühle gefunden werden würden. Aber meines Wissens wurde das Phänomen Schuldgefühl bis jetzt nur bei Suiziden Nahestehender untersucht.

Schuldgefühle können den Trauerprozess erheblich behindern, ihn um Jahre verlängern oder zu subtiler Selbstbestrafung führen. Vielleicht wird man nach dem Tod eines Nahestehenden krank oder hat eine „Pech-Strähne“? Um hier Abhilfe zu schaffen, empfiehlt es sich, nach Schuldgefühlen zu forschen. Hier ist der Sinn der unterbewussten Strategie leicht zu erkennen: „Wenn ich am Tod schuld bin, hätte ich ihn verhindern können!“ Die Wahrheit ist: Nein, Sie hätten ihn nicht verhindern können!

Die gesellschaftliche Verankerung des Schuld-Themas wurde von den großen Religionen gepflegt

Ich selbst bin katholisch erzogen, kann also nur über das Christentum sprechen. Mir wurde beigebracht, dass wir alle als Sünder auf die Welt kommen, und wenn wir schön brav sind und immer zum Beichten gehen, dann fällt die Beurteilung beim „Jüngsten Gericht“ nicht sooo schlimm aus. Dort lässt ein verzeihender Gott-Vater Gnade vor Recht ergehen. Aber Verzeihen und Gnade setzt vorherige Schuld voraus! Hier werden die Schuldgefühle aus der Kindheit zementiert. Und irgendwann wird gar nicht mehr hinterfragt, was da eigentlich los ist mit der ganzen Schuld. Krieg, Rache, Vergeltung und alltägliche Beschuldigungen unseres Nächsten sind die Folge dieses Prinzips. Unser Stammhirn ist in seinem Element!

WIE IST DENN NUN DAS GANZE SCHULDTHEMA ENTSTANDEN?

Der Mensch hat die Schuld „erfunden“, um das Leben zu kontrollieren.

Fragen wir doch einmal ganz frisch und neu: „Was ist Schuld?“, eine Methode frei nach dem Film „Feuerzangenbowle“, in dem sich der Lehrer Bömmel vor die Klasse stellt und sagt: „Stellen wir uns mal janz dumm: Watt is ene Dampfmaschin?“

Schauen wir uns ein Kind im Alter von etwa drei Jahren an. In diesem Alter hat es gerade die Fähigkeit entwickelt, ein schlechtes Gewissen zu haben. Eine erziehende Person schimpft nun und gibt dem Kind die Schuld eines falschen Verhaltens. Nun kann das Kind die Schuld annehmen, ein Schuldgefühl entwickeln, und vielleicht sogar zu dem Schluss kommen, „Ich bin böse!“. Oder es kann die schimpfende Person als gestört ansehen. Sich schuldig zu fühlen hat den „Vorteil“, in der Zukunft das Verhalten wie gefordert anpassen zu können: Einfach brav sein, dann wird man nicht mehr bestraft und endlich geliebt. Würde das Kind aber Mama und Papa als irgendwie falsch erklären, könnte es ihnen dann noch vertrauen? Wäre die Versorgung noch gesichert? Wenn das Überleben gesichert sein soll, dürfen die Erwachsenen nicht in Zweifel gezogen werden. Also ist es besser, sich schuldig zu fühlen und anzupassen. Diese Wahl wird selbstverständlich nicht bewusst getroffen, sondern läuft in einem in der Natur vorgegebenen Automatismus im Sinne von Lernen durch Erfahrung ab.

In der Schule geht es dann nach dem Prinzip des Erziehens weiter (man beachte, dass in „Erziehen“ das Wort „ziehen“ enthalten ist). Ein Schulkind der ersten Klasse wird bestraft, weil es nicht in der Lage ist, seinen natürlichen Bewegungsdrang zu unterdrücken und rumhampelt. Es soll plötzlich stundenlang stillsitzen, was in diesem Alter aber vollkommen gegen die Natur ist. Obwohl der Fehler eindeutig bei den Erwachsenen liegt, fühlt sich das Kind auch hier wieder schuldig und meint, es selbst sei nicht in Ordnung. Und das ist ja auch die Meinung der Erzieher. Zu meiner Zeit hat es noch Tatzen mit dem Lineal gegeben, heute wird das unangepasste Kind zum Kranken erklärt. Es bekommt die Diagnose ADHS und meist Medikamente. Stattdessen wäre es ratsam, tradierte Schul- und Erziehungsprinzipien zu überdenken: Vielleicht sollte man den Bewegungsdrang der Kinder mit in den Lehrplan einbeziehen. Programme, die das jetzt schon praktizieren, sind sehr erfolgreich. Bereits in den 70ern gab es ein Buch mit dem Titel „Schafft die Schule ab!“. Die Lehrpläne treten diesbezüglich aber seit Jahrzehnten auf der Stelle.

Kinder nehmen unbemerkt die Schuld für schlicht alles auf sich. Geht es der Mama oder dem Papa schlecht, ist jemand krank oder hat Depressionen? Wird das Kind geschlagen oder missbraucht? Ist ein Erziehungsberechtigter unberechenbar? Wird dem Kind erzählt, es sei dumm und bringe es sowieso nie zu etwas? Das Kind fühlt sich schuldig! Sogar, wenn die Schwangerschaft ungewollt war, kann das Kind sich schuldig fühlen, überhaupt da zu sein und Raum einzunehmen.

Also sind die Eltern und die Erzieher die Bösen?

Auch nicht. Denn die Erwachsenen handeln ja genau wie das Kind unterbewusst emotionsgesteuert und wissen nicht, was sie tun. Sie sind selbst als Kind so behandelt worden. Und so wird die Schuld von Generation zu Generation weitergegeben.
Langsam zeichnen sich Tendenzen ab, dass Erziehung durch Begleitung ersetzt wird. Begleitung bedeutet Wahrnehmung des Kindes und Mitgefühl. Es mag nach großem Aufwand ausschauen, sich dauernd in das Kind hineinzuversetzen, aber ich bin überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist! Ein leidendes Kind, das schreit und weint, ist bestimmt stressiger, als ein Kind, das entspannt ist, weil es sich in seinen Bedürfnissen wahrgenommen fühlt … auch wenn diese vielleicht im Moment nicht erfüllbar sind. „Ich weiß, dass das schlimm ist, dass du jetzt die Breze nicht bekommen kannst, ich hab dich trotzdem lieb!“ Oder einfach mal raus mit dem schreienden Baby aus dem Kinderwagen, es liebevoll auf den Arm nehmen und Ihm signalisieren: „Es tut mir leid, dass es dir schlecht geht! Alles ist gut!“

BEI DEM THEMA „SCHULD“ GEHT ES ALSO GENAU BETRACHTET UM SCHULDGEFÜHLE!

 

Und diese sind so weit verbreitet, dass es sich bei jedem unserer Probleme lohnt, mal zu schauen, ob vielleicht welche beteiligt sind. Sie aufzuspüren, erfordert vielleicht erst einmal ein bisschen Übung. Therapien, in denen man sich diesbezüglich auf die Schliche kommt, können hilfreich sein. Schuldgefühle werden aber nicht in jeder Therapie fokussiert.

Ich persönlich bin auf das Thema vor Jahrzehnten durch das Buch „Verdrängte Schuldgefühle“ gestoßen. Ich erkannte mich in vielen der dort geschilderten Alltagsprobleme wieder, konnte aber erst einmal kein Schuldgefühl bei mir erkennen. Ja, ich hatte meine Mutter abgelehnt, aber das war doch schließlich verständlich, sie hatte mir ja auch gehörig zugesetzt. Und jetzt wird es ein bisschen kompliziert: Wir sind nicht verpflichtet, unserere Eltern zu lieben. Auch wenn ein Standardsatz meiner Großmutter war: „Wer seine Mutter schlägt, dem wächst die Hand aus dem Grab!“ Jede Person, die die Eigenschaften meiner Mutter gehabt hätte, hätte ich gemieden. Also warum sollte ich das bei ihr nicht machen? Aber da sind wir wieder im Großhirn und mein Stammhirn sagt, „Ich bin Schuld, man darf seine Mutter nicht ablehnen. Schließlich hat sie mich auf die Welt gebracht, damit ich sie liebe.“ Sie selbst hat wiederholt geäußert, sie wollte Kinder, denn Kinder müssen ja die Mutter lieben. Einfach so geliebt zu werden, lag fataler Weise nicht in ihrem Erfahrungsschatz.

Aber ich habe mich längst liebevoll mit meiner Mutter ausgesöhnt. Nein, ich habe ihr ausdrücklich nicht „vergeben“, denn:

SCHULD BRAUCHT KEINE VERGEBUNG SONDERN VERSTEHEN UND MITGEFÜHL

Wenn Ihnen jemand erzählt, Sie sollten Vergebung üben, dann wünsche ich Ihnen ein großes Hab-Acht! Menschen, die dies empfehlen, sind meist selbst in Schuldgefühle verstrickt. Vorschnelle Vergebung blockiert den wahren Auseinandersetzungsprozess mit dem, was uns passiert ist. Oft wird z. B. in Psychotherapien allzu schnell darauf abgezielt, den Eltern zu vergeben. Die wichtige Aufdeckung unterbewusster Schuldgefühle fällt dann unter den Tisch. Wir müssen nicht „vergeben“! Es reicht, zu erkennen, dass die Eltern nicht böswillig gehandelt haben. Sie steckten selbst in einer Verstrickung. Nun können wir Mitgefühl mit uns als Kind und unseren Eltern empfinden.

DER UNTERSCHIED ZWISCHEN SCHULD UND VERANTWORTUNG

Dieser Unterschied ist groß und entscheidend. Wir können, ohne uns schuldig zu fühlen, die Verantwortung für etwas übernehmen, das wir getan haben. Dann können wir z. B. einen Fehler eingestehen, sagen, dass es uns leid tut, einen Austausch mit dem anderen suchen, und versuchen, es wieder gut zu machen.

Schuld zu empfinden, macht eng und klein – Verantwortung zu übernehmen, macht weit, offen und stark!

Auf dem Weg hilft das hawaianische Ritual Ho’oponopono. Das Wort bedeutet so viel wie „in Ordnung bringen“. Es lohnt sich, sich damit zu beschäftigen, denn es ist sehr wirkungsvoll bei jeglichen Konflikten mit unseren Mitmenschen. Sie nehmen die Haltung ein, dass auch Sie eine Beteiligung an dem Konflikt haben, und Sie beide nur verstrickt sind. Für sich allein sagen Sie dann mehrmals die Sätze: Es tut mir leid! Bitte verzeih mir! Ich liebe dich! Danke! Der Subtext wäre: Mein Anteil an unserem Konflikt tut mir leid. Bitte versteh das, und sieh es mir nach. Ich liebe dich, wie sich alle Seelen sich lieben. Ich danke dir für diese Herausforderung, mich weiterzuentwickeln.

FAZIT
Schuld braucht keine Vergebung, denn im Universum gibt es keine Schuld. Schuld ist eine Erfindung der Menschen, um die Unberechenbarkeit menschlicher Handlungen zu kontrollieren. Schuld führt zu Krieg, Kampf, Rache und Sühne. Sie wurde von den Religionen „gepflegt“, indem die Phänomene Sünde, Strafe, Gerechtigkeit und Buße gepflegt wurden. Das Problem bei der Schuld sind die Schuldgefühle. Wenden wir uns also diesen zu, haben wir Mitgefühl mit uns selbst und gelangen so zur Selbstliebe. Haben wir Mitgefühl mit den anderen.

Ersetzen wir das Wort „Schuld“ doch einfach durch „Verantwortung“ und das Wort „Vergebung“ durch „Mitgefühl“.

Viel Freude und Erfolg wünscht Ihnen Ulla Geiger!

Ulla Geiger ist tätig als Selbsthilfe-Coach und Autorin

www.coaching-zur-selbsthilfe.de

 

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