Spiritualität mitten im Leben – Vismay Georg Huber

von Thomas

GeorgHuberTextSeit 23 Jahren ist Vismay Georg Huber Herausgeber und Macher des kleinen, aber feinen kostenfreien spirituellen Magazins AURA. Manche Fans holen sich dieses Heft regelmäßig nur aus einem Grund: Um sein Editorial zu lesen. Nun hat er die schönsten davon in ein Buch gepackt – eine gute Idee, wie wir finden. Hier drei davon zum Lesen.

Von Vismay Georg Huber


Nicht ganz dicht

„Wer immer offen ist, kann nicht ganz dicht sein!“ Ein schönes Zitat, oder?!

Wenn mich manchmal etwas nervt, dann sind das Menschen, die 24 Stunden am Tag spirituell, esoterisch und selbsterfahren sein müssen und redselig dafür sorgen, dass das wirklich auch jeder mitkriegt. Es gibt nichts Schlimmeres! Hat Spiritualität denn nichts Stilles, Heiliges und Intimes mehr? Kennen Sie auch so Leute, die einen immer gleich beraten, therapieren und heilen möchten, obwohl man ihnen gar nichts getan hat? Schrecklich oder?!

In seltenen Fällen hat das einen gewissen Unterhaltungswert, aber meistens ist es doch furchtbar langweilig, wenn Leute ungefragt ihre ganze persönliche Selbsterfahrung und bedeutungsvollen, esoterischen Schnick- Schnack von sich geben. Es legt einem ja auch nicht jeder, jederzeit sein ganzes Sexualleben, inkl. Vorlieben und bizarrer Praktiken, vor die Fu?ße.

Es ist schon gesund, gut und richtig, wenn manche Dinge intim und persönlich bleiben und unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zur rechten Zeit, am rechten Ort abgehandelt werden.

Im Lotus Cafe, einem ansonsten wunderbaren, erfolgreichen, ganzheitlichen Internet-Forum, bekommt man auch oft derlei persönliches Material öffentlich zu lesen. Meistens bin ich froh, dass ich gerade nicht mit diesen Leuten in einem realen Cafe sitzen muss. Man merkt es ja auch gleich, wenn jemand viel zu viele spirituelle Gedanken in seiner Persönlichkeit hat.

Meistens macht das dann nicht soviel her.
Ein guter Spirit kann durch eine Person hindurch strahlen und sich kreativ im Weltlichen manifestieren und ausdrücken. Das ist dann ganz wunderbar und braucht nicht viele Worte. Aber wie oft wird das Spirituelle, Esoterische und Selbsterfahrene bedeutungsvoll missbraucht, um ein armes Ego hochzupushen, das möglicherweise ansonsten einfach nichts zum Angeben oder Identifizieren hat?! Oder letztlich nur Sex, Berührung und Aufmerksamkeit will und neurotische Umwege dafür in Kauf nimmt bzw. sich im Namen der Erleuchtung unbedingt selbst verbessern will, um sich zwischendrin ein wenig liebenswerter zu fühlen.

Da sind mir offensichtliche Angeber meistens lieber, solange ich nicht mit ihnen in den Urlaub fahren muss. Apropos: Der Unterhaltungswert wird meist, wenn es um spirituelles Wachstum geht, sträflich unterschätzt und falsch eingeordnet. Ich mag jedenfalls keine Langeweile. Auch nicht mit den besten spirituellen Absichten.


Das gewisse Etwas

Am Pfingst-Wochenende hab ich das Rainbow-Spirit-Festival geschwänzt.
Stattdessen war ich viel in der Natur, mit Freunden zusammen und zuhause an meinem Schreibtisch.

Letztes Jahr hatte ich sehr viel Spaß auf dem Rainbow. Hab viele alte Freunde und Bekannte getroffen. Als Einstieg gab ich mir einen alten Film aus den 70er Jahren u?ber Osho und die Sannyas-Kommune in Poona. Damals wurde in den Selbsterfahrungsgruppen gefilmt, in denen es hoch herging und die Teilnehmer nicht selten neben ihren Widerständen auch ihre Klamotten verloren. Im Film lag ein besonderes Augenmerk auf der so genannten Leela-Gruppe mit dem charismatischen, vollbärtigen Somendra als Leiter.

Nostalgisch angeheitert verließ ich nach der Vorführung den Raum und der erste Mensch der meinen Weg kreuzten, war tatsächlich Michael Barnett (ehemals Somendra), etwa 35 Jahre später mit dem gleichen Lachen, aber etwas weniger Haare. Immer wieder schön diese Synchronizitäten.

Dieses Jahr wäre es eher das Pflichtbewusstsein gewesen, das mich ins M.O.C. nach München schicken wollte. Aber es war auch wunderbar, mich mit Freunden zu treffen, mit meiner Frau in die Berge zu gehen und bis spätabends vor meinen Schreibtisch zu sitzen und die Worte fließen zu lassen. Manchmal habe ich eine regelrechte Scheu vor zuviel menschlichspirituellen Input und ziehe mich lieber zurück oder gehe mit dem Hund raus. Ich konnte eh noch nie so viel mit der Trennung anfangen, was jetzt esoterisch und spirituell ist und was nicht. Es gibt letztlich ja auch nur gute oder schlechte Musik, egal aus welcher Richtung sie kommt. Geschmackssache ist das erst in zweiter Linie.

Am Samstag Abend vor Pfingsten schaute ich mal in den Grand Prix de Eurovision rein und war eigentlich, entgegen meiner Erwartung, recht positiv überrascht. Besonders der avantgardistische Beitrag aus Albanien hatte es mir angetan. Überraschenderweise bekam die Künstlerin dann noch richtig viel Punkte und erreichte schließlich den 5. Platz. Irgendwie setzt sich hohe Qualität, wirkliche Authentizität und echte Kreativität auf die Dauer immer durch. Osho hat einmal gesagt: „Gott muss der Schöpfer sein, denn schöpferische Menschen sind ihm am nächsten.“ Wo immer dieses „gewisse Etwas“ zu finden ist, liegt man jetzt schließlich genau richtig.
Das kann in der Natur sein, in der Begegnung mit einem Freund oder vor der Glotze. Und manchmal sogar auf einem spirituellen Festival.


Spiritualität im Alltag

Gerade in diesen Tagen scheint „Spiritualität im Alltag“ ein beliebtes Thema zu sein. Was ist darunter zu verstehen? Dass wir alle lieb zueinander sind und in der Mittagspause indische Mantren zusammen singen?
Dass wir Abends im Schlafanzug dem lieben Gott für den schönen Tag danken?
Oder gar, dass wir an unserem Arbeitsplatz die andere Wange hinhalten, wenn das Weihnachtsgeld gestrichen wird?

Was „Spiritualität im Alltag“ für mich persönlich bedeutet??? Gute Frage
und der richtige Anlass für einen Schwenk in mein aktuelles Alltagsgeschehen.
Meine Freundin holte mich jedenfalls heute Morgen um halb Sieben aus dem warmen Bett, damit ich sie unbedingt, sofort und ganz schnell nach Rosenheim fahren soll. Auweia. Mein achtsamer Tagesbeginn aus Sport, Meditation und gesundem Frühstück völlig durcheinander gewirbelt.

Das geht doch nicht. Womöglich würde mein ganzer Tag darunter leiden. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Ihr schlechtes Gewissen schmeißen wir fröhlich in Pfraundorf aus dem Fenster und kurz vor Heilig Blut wird es sogar richtig warm in meinem alten Golf.
Schlaftrunken, zerknautscht und ungeduscht entdecke ich wenig später im Rosenheimer Bahnhof eine Zeitschrift und setze mich damit in ein Cafe.

Nach einigen Seiten lande ich „zufällig“ bei einem Artikel, der mir ca. drei Stunden Recherche für ein neues Buchprojekt erspart. Ich bin beeindruckt. Schon ziemlich cool, wie die Existenz so arbeitet. Und dies alles ohne Müsli, Meditation und Tarot-Karte. Wieder zurück im Auto merke ich plötzlich, dass ich mich eigentlich bereits mitten in meiner morgendlichen Andacht befinde. Dass es nichts anderes gibt und niemals etwas anderes gab.

Achtsamkeit nennt Thich Nhat Han diese 24 Stunden Meditation. Versunken, präsent und sehr lebendig öffnet sich da der banalste Moment und sämtliche Geräusche, Bewegungen und Impulse verwandeln sich überraschend zu einer harmonischen Symphonie. Diesen Raum von Freiheit, würde mein „immer-alles-verstehen-und-richtig-machen-wollender-Verstand“ niemals an einem verschneiten Dezember Morgen auf der B 15 vermuten.

Aber könnte ich diese kontinuierliche, radikale und kompromisslose Achtsamkeit denn tatsächlich 24 Stunden täglich aushalten? In einem Interview mit Bono lese ich wenig später den Satz: „Ich habe nicht nach Gnade gesucht, aber glücklicherweise suchte sie mich.“ Es wurde noch ein ziemlich guter Tag.

Von Vismay Georg Huber


Infos zum Buch:

VismayCover

Vismay Georg Huber: „Nur ein Wort“

Verlag: tao.de in J. Kamphausen, 2014
Umfang: 116 Seiten
Preis: 19,99 und 12,99 €
ISBN: 978-3958022171



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1 Kommentar

Paula 10. März 2015 - 18:35

sehr nett zu lesen, dankeschön!

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